Auch fast zwei Wochen nach dem Rücktritt des Vorsitzenden gibt es weiterhin keine Einigung über die Neubesetzung des spanischen Generalrats der Justiz (CGPJ). Carlos Lesmes war früher im Oktober aus Protest gegen den politischen Stillstand zurückgetreten, der seit vier Jahren Ernennungen zur Besetzung dieses Justizorgans lahmlegt. Seine Entscheidung habe Lesmes „aus Respekt“ vor dem Ansehen des spanischen Rechtsapparates und der Richter getroffen. Diese würden „zu Recht erwarten“ dass die zuständigen Politiker, in einer Situation in der die Funktion des gesamten Justizwesens auf dem Spiel stünde, nicht „gleichgültig“ bleiben würden.
Der 20-köpfige Generalrat der Justiz (CGPJ), der für die Ernennung von Richtern und die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz zuständig ist, hat, aufgrund der fehlenden politischen Einigung über seine Erneuerung, mehrere Rekorde gebrochen: Im Dezember werden seine Mitglieder seit neun Jahren im Amt sein, die letzten vier auf provisorischer Basis. Im Rat sind bereits zwei Stellen unbesetzt (eine durch Pensionierung, die andere durch Tod), und Dutzende Ernennungen in anderen Justizbehörden stehen noch aus.
Das Mandat des Generalrates ist im Dezember 2018 ausgelaufen. Seitdem arbeitet er auf Interimsbasis, da sich die regierenden Sozialisten (PSOE) und die konservative oppositionelle Volkspartei (PP) nicht über seine Zusammensetzung einigen können.
Der Stillstand führt zunehmend zu Problemen im spanischen Gerichtssystem.
Aus Brüssel ertönte ein Weckruf: Die EU fordert eine dringende Erneuerung des Rates und eine gesetzliche Änderung der Art und Weise, wie die Mitglieder gewählt werden. EU-Justizkommissar Didier Reynders verwies auf die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft, die Spanien in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 innehaben wird, um einen weiteren Anreiz zu setzen, das Problem zu lösen. Die linke Regierung und die wichtigste konservative Oppositionspartei haben vor einigen Tagen die Verhandlungen unter größter Geheimhaltung wieder aufgenommen, wobei auf beiden Seiten offensichtlich der Wille besteht, eine Einigung zu erzielen.
Diese beispiellose Situation wurde negativ im jährlichen Rechtsstaatlichkeits-Berichten der EU Kommission im Teil über Spanien erwähnt und führte sogar zu einem Besuch des Justizkommissars Didier Reynders, der versuchte die Situation zu entschärfen. Er verließ Madrid Ende September und konstatierte, dass es, wie von Brüssel gefordert, ein „echtes Engagement“ für die Erneuerung des CGPJ und seiner anschließenden Reform gebe. Der belgische liberale Politiker hatte sich mit allen Parteien getroffen: Regierung, Opposition und Richterschaft.
Kurz nach dem Besuch von Kommissar Reynders und aufgrund der fehlenden Fortschritten machte Carlos Lesmes am 9. Oktober die Drohung wahr, als Präsident des CGPJ zurückzutreten, um die Erneuerung dieses Gremiums zu erzwingen. Dies löste eine noch nie dagewesene institutionelle Krise in der spanischen Justiz aus – mit offenen Kampf um den Vorsitz, einem Rat gespalten zwischen Progressiven und Konservativen, und dem Verfassungsgericht, das nicht erneuert wird, da der Stillstand im CGPJ auch die Besetzung von freien Stellen dort verhindert. Das gilt auch für den Obersten Gerichtshof, der maßgebend die Rechtsprechung bestimmt.
Das Erdbeben, ausgelöst durch den Rücktritts Lesmes, sorgte für ein Treffen zwischen dem Regierungschef Pedro Sánchez und den Vorsitzenden der größten Oppositionspartei, der konservativen Partido Popular (PP), Alberto Feijóo, am darauffolgenden Tag, dem 10. Oktober. Sie wollten sich wie eine selbsternannte „letzte Chance“ geben, die Blockade des Richtergremiums zu lösen.
Obwohl es noch zu keiner Einigung kam, signalisierten beide Seiten, dass die Chancen gut stünden und eine solche nicht allzu lange dauern werde.
Was sagt die Europäische Kommission zur Rechtsstaatlichkeit in Spanien?
Die Europäische Kommission fordert Spanien auf, die festgefahrene Situation bei der Erneuerung des Allgemeinen Rates für das Justizwesen (CGPJ), dem Leitungsgremium der spanischen Richter, dringend zu beenden. In ihrem jüngsten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit in der EU, der im letzten Juli veröffentlicht wurde, fordert die EU-Exekutive Spanien auf, die Erneuerung des CGPJ „vorrangig“ voranzutreiben und „unmittelbar danach“ einen Prozess einzuleiten, um die Methode zur Wahl seiner Mitglieder „unter Berücksichtigung europäischer Standards“ zu ändern. Insbesondere solle festgelegt werden, dass mindestens die Hälfte seiner Mitglieder „von ihren Kollegen gewählte Richter“ sein sollten. In Spanien werden die 20 Mitglieder des Rates durch das Parlament gewählt, wobei die 12 Mitglieder mit richterlichem Hintergrund aus einer Liste von Namen stammen, die zuvor von den Richterverbänden vorgelegt wurden.
Der Bericht wurde zu einem kritischen Zeitpunkt in den Verhandlungen zwischen der PSOE und der PP veröffentlicht – nach einem erneuten Scheiterns des Versuchs der Parteien, sich über die Erneuerung des Richterstandes zu einigen. Diesmal führte Alberto Núñez Feijóo die Volkspartei als größte Oppositionspartei an. Deren Weigerung, sich an einen Tisch zu setzen und eine Lösung zu finden, hat dazu geführt, dass das Mandat des Generalrates – ohne neue Einigung – ausgelaufen ist.
„Die Verzögerung bei der Erneuerung der CGPJ gibt weiterhin Anlass zur Sorge“, heißt es in dem 30-seitigen EU-Bericht über Spanien. „Der Justizverwaltungsrat übt seine Funktionen seit Dezember 2018 auf Interimsbasis aus.“ Dies gebe Anlass zu der Befürchtung, dass er als „anfällig für Politisierung“ wahrgenommen werden könnte. In dem Dokument heißt es weiter: „Es wurden wiederholt Forderungen nach seiner dringenden Erneuerung laut, und die Situation wurde von wichtigen Interessenvertretern als unhaltbar und anomal bezeichnet.“
In ihrem Bericht vom Juli räumte die Kommission jedoch ein, dass es in den vergangenen Monaten in Spanien einige Fortschritte gegeben habe. „Ich will fair sein, ich habe Fortschritte gesehen“, sagte Věra Jourová, EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, eine der Autorinnen des Berichts. Jourová, die auch Vizepräsidentin der Europäischen Kommission ist, wertete es als Fortschritt, dass die Regierung von Pedro Sánchez im vergangenen Jahr den Gesetzentwurf zurückgezogen hat. Dieser sah vor, die für die Wahl der Mitglieder der CGPJ erforderliche Mehrheit zu verringern. Die Verabschiedung dieses Gesetzes hätte bedeutet, dass die Stimmen der PP nicht mehr erforderlich gewesen wären. Wäre dieses Gesetz angenommen worden, so Jourová, hätte Spanien „die Vorschriften über die unparteiische Einsetzung eines allgemeinen Justizrates nicht eingehalten“. Die Rücknahme des Gesetzes sei „eine positive Sache“.
Jourová warnte, dass die anhaltende Unbeweglichkeit „ein sehr ernstes Problem für die spanische Justiz sein wird, weil sie die Arbeit und die Ernennung von Richtern blockiert“, was sich „in der praktischen Arbeit der Justizorgane“ bemerkbar mache. Jourová besuchte Spanien kurz vor der Veröffentlichung des Berichts und traf sich mit Parteimitgliedern. Sie kehrte nach Brüssel mit dem Eindruck zurück, dass es keine kurzfristige Lösung geben werde.
Was ist der Generalrat der Justiz und was sind seine Aufgaben?
Der CGPJ ist ein verfassungsgemäßes, kollegiales und autonomes Gremium, das sich aus Richtern und anderen renommierten Rechtsexperten zusammensetzt. Er nimmt die Aufgaben der Justizverwaltung wahr und gewährleistet die Unabhängigkeit der Richter, die ihre Stellen durch Auswahlverfahren erhalten.
Der Rat wählt bestimmte Richter aus, die nach seinem Ermessen ernannt werden. Dies ist seine Hauptaufgabe. Der CGPJ ernennt alle Richter des Obersten Gerichtshofs, der die Rechtsprechung festlegt, zwei Richter des Verfassungsgerichts sowie die Präsidenten der Obersten Gerichtshöfe, der Provinzgerichte und anderer Regierungskammern. Da das CGPJ nicht fristgerecht im November 2018 erneuert wurde, sind viele dieser Richter übergangsweise im Amt.
Wie werden die Mitglieder des Generalrates der Justiz gewählt?
Die Mitglieder des CGPJ sollten laut Verfassung alle fünf Jahre ernannt werden. In einigen Ländern wählen die Richter selbst ihre Spitzenbeamten, in anderen, wie in Spanien, werden sie vom Parlament gewählt.
Das Gesetz sieht vor, dass der Rat aus zwanzig Mitgliedern – zwölf Richtern und acht Juristen – besteht, die alle mit einer Dreifünftel-Mehrheit des Parlaments gewählt werden: Zehn vom Kongress und zehn vom Senat – was die Zustimmung der PSOE und der PP erfordert.
Warum ist der CGPJ noch immer nicht erneuert worden?
In der Praxis werden sowohl die Liste der Richter, als auch die Liste der Juristen zuvor von den Fraktionen entsprechend der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse vereinbart. Aufgrund der mangelnden Verständigung zwischen den beiden Mehrheitsparteien PSOE und PP wurde der CGPJ seit 2018, als das fünfjährige Mandat auslief, nicht mehr erneuert.
Daher ist der aktuelle CGPJ ein Spiegelbild der parlamentarischen Mehrheiten, die es in Spanien vor neun Jahren gab. Nämlich derjenigen, die der ersten Amtszeit des ehemaligen konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy entsprach. Damals wurden neun der Mitglieder des CGPJ von der PP und sechs von der PSOE vorgeschlagen. Ebenfalls einen Namen schlugen die drei Parteien Izquierda Unida, die katalanische CiU und die baskische PNV vor.
Die derzeitige Zusammensetzung des Parlaments, aus dem die Linkskoalition hervorgegangen ist, die die derzeitige Regierung von Pedro Sánchez stellt, sieht ganz anders aus. Allerdings sind die Verhandlungen zwischen der PP und PSOE zur Übertragung der aktuellen Mehrheitsverhältnisse auf den CGPJ vor allem an der Weigerung der Konservativen gescheitert.
Die Regierung Sánchez lehnt ihrerseits, die von der PP geforderte direkte Wahl der Ratsmitglieder durch die Richter ohne Einschaltung des Parlaments ab. Denn wenn sie sich selbst wählen würden, wären sie die einzige staatliche Macht, an deren Wahl und Kontrolle keine andere Macht beteiligt wäre.
Schwerwiegende Auswirkungen der Blockade und ausstehende Entscheidungen
Diese Blockade ist, wie bei der Eröffnungsfeier dieses Gerichtsjahres gewarnt wurde, der Grund dafür, dass in den kommenden Monaten zwanzig Stellen am Obersten Gerichtshof, das entspricht 25 % seines Personals, unbesetzt sein werden. Außerdem seien 49 von 116 Stellen als Gerichtspräsidenten in Spanien nicht besetzt.
Vor einem Jahr wies ein technischer Bericht dieses Gerichts darauf hin, dass es seine Aufgaben mit 14 Prozent weniger Richtern, als gesetzlich vorgeschrieben, wahrnehme und dies dazu führen könnte, dass das Gericht jährlich tausend Entscheidungen weniger erlasse, was zu Lasten der Gerechtigkeit gehe.
Die Besetzung der offenen Stellen könnte zu einer Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse führen, insbesondere bei den Richtern der Strafkammer, die über Personen urteilen, die einer besonderen Gerichtsbarkeit (spanisch: aforado) unterliegen. Sie sind die einzigen Richter, die ein Strafverfahren gegen einen Abgeordneten, einen Minister oder einen Senator einleiten können. Sie haben auch das letzte Wort bei den wichtigsten Strafurteilen, wie z. B. bei großen Korruptionsfällen oder denen der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter.
Auch die bestehende konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof wird sich ändern, wenn die anstehende Erneuerung abgeschlossen ist. Eine Gruppe konservativer Mitglieder des derzeitigen CGPJ blockiert dies beharrlich. Dies war der eigentliche Grund für den Rücktritt von Lesmes, da es sich um einen Rechtsbruch des Richtergremiums handelt.
Der Fall des ehemaligen katalanischen Präsidenten Carlos Puigdemont gehört zu den anhängigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs.
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