Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass der heutige Klimawandel von Menschen verursacht wurde und wird. Dennoch wird das immer wieder angezweifelt: Auf Facebook wird anhand einer Grafik derzeit behauptet, dass sich das Klima zu jeder Zeit verändert habe und dabei immer zuerst die Temperatur stieg und danach die Menge an Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre. Andere verbreiten Daten von Eisbohrkernen eines Forschungsprojekts aus Grönland und schreiben dazu, in den vergangenen 9500 Jahren sei es fast immer wärmer gewesen als heutzutage. Was ist dran an diesen Argumenten?

Bewertung

  • Die abgebildete Grafik zeigt keinen Zusammenhang zwischen Temperaturen und CO2-Gehalt in der Atmosphäre. Dieser existiert aber: Die Erderwärmung ist von vielen Faktoren abhängig und Kohlendioxid ist einer davon. Die natürlichen klimatischen Veränderungen der Erdgeschichte sagen zudem nichts über den heutigen Klimawandel aus.
  • Auch die Klimadaten eines Bohrkerns aus dem grönländischen Eisschild sagen nichts über die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur aus. Die Kurve endet zudem im Jahr 1885 und damit zu einem Zeitpunkt, als die menschengemachte globale Erwärmung des Industriezeitalters gerade erst begann.

Fakten

  • Die Grafik des ersten Facebook-Posts zeigt auf einer Zeitachse Temperaturangaben aus der Forschung zur Plattentektonik und Daten aus Untersuchungen zum CO2-Gehalt für die vergangenen 600 Millionen Jahre.

Allerdings ist der Abbildung weder die angesprochene zeitliche Abfolge noch überhaupt ein Zusammenhang zwischen globalen Temperaturen und Kohlendioxid-Menge zu entnehmen. Die Grafik wird seit Jahrzehnten in verschiedenen Fassungen verbreitet, oft zusammen mit der Falschbehauptung, dass Kohlendioxid nicht zum Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen führt.

Einfluss von Kohlendioxid auf das Klima

Es ist zwar richtig, dass die klimatischen Bedingungen auf der Erde nie konstant waren und auf vielen Wechselwirkungen beruhen – zum Beispiel auf Vulkanaktivitäten oder der Umlaufbahn der Erde um die Sonne. Diese Veränderungen erfolgen jedoch über einen wesentlich längeren Zeitraum hinweg als die Erderwärmung, die seit Beginn der Industrialisierung zu beobachten ist.

Auch korrekt ist, dass in einzelnen Phasen der Klimageschichte der CO2-Anstieg zeitverzögert zur Erderwärmung erfolgte. Das ist darauf zurückzuführen, dass sich in diesen Phasen im Übergang von einer Eis- zur Warmzeit die Entfernung der Erde zur Sonne verringerte. Aufgrund der darauffolgenden Erwärmung der Erdoberfläche entwich verstärkt Kohlendioxid aus den Ozeanen, die das Gas absorbieren können. Dieses sogenannte Ausgasen der Meere führte zu einer noch stärkeren Erwärmung.

Der anthropogene Klimawandel

Und diese Art «Verstärkungseffekt» liefert heute der Mensch durch das Verbrennen fossiler Energieträger: Das Freisetzen der alten CO2-Speicher unseres Planeten erhitzt zunehmend die Atmosphäre, was wiederum die natürlichen Speicherkapazitäten verändert. Derzeit liegt die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre bei über 400 ppm (parts per million). Dieser Wert war laut Weltorganisation für Meteorologie (WMO) zuletzt vor etwa drei bis fünf Millionen Jahren so hoch.

Um den anthropogenen – vom Mensch verursachten – Klimawandel zu bestreiten, werden häufig solche sogenannten paläoklimatischen Daten herangezogen. Dabei zeigt eine Betrachtung dieser Ereignisse bestenfalls, wie sensibel das System auf Veränderungen reagiert.

  • Über der anderen Grafik steht: «Temperatur-Anomalie in Grad Celsius 7643 vor Christus bis heute». Dass sich die Daten auf einen Eisbohrkern in Grönland beziehen, wird nicht erwähnt. Ebenfalls nicht, dass sie im Jahr 1885 enden.

Ausgangspunkt ist jedoch das Greenland Ice Sheet Project 2 (GISP2), die zweite Auflage eines Programms zur Gewinnung von Eisbohrkernen und den darin enthaltenen paläoklimatologischen Daten aus dem grönländischen Eisschild. In der Paläoklimatologie rekonstruiert man anhand von Messungen und Modellrechnungen die klimatischen Verhältnisse der erdgeschichtlichen Vergangenheit, um etwa die Mechanismen von Klimawandel-Ereignissen zu begreifen.

1997 veröffentlichten zwei US-Wissenschaftler eine Temperatur-Rekonstruktion, bei der sie GISP2-Daten verwendeten. Auch der amerikanische Geologe Richard Alley beschäftigte sich mit diesen in einem 2000 erschienenen Aufsatz. Vergleiche zwischen den historischen und damals aktuellen klimatischen Bedingungen ziehen die Forscher nicht.

Alleys Daten werden falsch interpretiert

Im Jahr 2004 erschien der Artikel Alleys, dessen Daten als Grundlage für die irreführende Grafik missbraucht wurden. So steht auch «R.B. Alley 2004» darüber. «Ich bekomme jedes Jahr ein paar Anfragen dazu, und das schon seit mehr als einem Jahrzehnt», antwortete der Geowissenschaftler auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Zu finden ist eine ähnliche Grafik beispielsweise in einem Beitrag des Geowissenschaftlers Don Easterbrook von 2010. Easterbrook behauptete bereits zuvor, dass der aktuelle Wärmezyklus bald enden solle und sich die globalen Temperaturen bis etwa 2035 leicht abkühlen würden.

Warum die Schlussfolgerung aus der Grafik, die Klimakrise sei nicht menschengemacht, unzulässig ist, erklärte Geologe Alley schon 2010 in einem Artikel des «Dot Earth»-Blogs der «New York Times». Auf diesen verweist er in seiner Antwort auf die Anfrage der dpa. «Zunächst einmal kann keine einzelne Temperaturaufzeichnung von irgendwoher die globale Erwärmung beweisen oder widerlegen, da die Temperatur eine lokale Aufzeichnung ist und ein Ort nicht die ganze Welt ist», antwortete Alley damals dem Autor des Artikels.

Außerdem seien die Eisbohrkern-Daten in Zentralgrönland zwar die – damals – besten verfügbaren paläoklimatischen Temperaturaufzeichnungen gewesen. Aber eine solche Aufzeichnung beziehe sich nicht nur auf die Temperatur. Das müsse man bei der Interpretation berücksichtigen und Aussagen dementsprechend einordnen. Außerdem könnten große Klimaveränderungen ohne menschliche Einwirkung in der Vergangenheit nicht beweisen, dass die Menschen jetzt nicht verantwortlich seien.

In seiner aktuellen Mail-Antwort stellt Alley die Frage, ob es überhaupt eine Rolle spiele, wann es in der Erdgeschichte wie warm gewesen sei. Hohe Temperaturen seien in der Vergangenheit von hohen CO2-Konzentrationen verursacht worden, die eine natürliche Ursache hatten. Zudem sei die Erwärmung viel langsamer aufgetreten. «Der aktuelle Anstieg ist nicht natürlich, sondern von uns verursacht.»

Grafik zeigt Temperaturentwicklung bis 1885

Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung fasste jüngst bei Twitter die Strategie hinter der irreführenden Grafik zusammen: «Das gibt’s in vielen Varianten: Klimaleugner, die eine Paläoklimakurve posten, die nicht die globale Mitteltemperatur zeigt (oft ist’s Grönland), und schon vor der moderne(n) Erwärmung endet.» Da die Grafik hier in einer besseren Auflösung vorliegt, ist deutlich zu erkennen, dass die jüngste Jahreszahl am unteren Rand 1885 ist.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich international einig, dass die aktuelle Erwärmung menschengemacht ist. «Es ist unbestreitbar, dass menschliche Aktivitäten den Klimawandel verursachen und der menschliche Einfluss extreme Klimaereignisse wie Hitzewellen, starke Regenfälle und Dürren häufiger und schwerwiegender macht. Menschliche Aktivitäten haben den Planeten in einer Geschwindigkeit erwärmt, die es zumindest in den letzten 2000 Jahren nicht gegeben hat, und wir sind auf dem besten Weg, innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte eine globale Erwärmung von 1,5 °C zu erreichen», fasste der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC, Hoesung Lee, im Juni zusammen.

Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) trägt die wissenschaftlichen Grundlagen und den weltweiten Forschungsstand über die Auswirkungen der globalen Erwärmung und seine Risiken zusammen und bewertet sie. Dazu beruft er Tausende Wissenschaftler aus aller Welt.

Links

Deutsches Klimakonsortium zum Klimawandel (archiviert)

Sharepic mit Behauptung (archiviert)

Originales Temperatur-Diagramm (archiviert)

Aufsatz zum CO2-Niveau im Phanerozoikum (archiviert)

Anpassungen der Grafik (archiviert)

Faktoren für frühere Klimawandel (archiviert)

Belege für anthropogene Klimaveränderungen (archiviert)

CO2-Konzentration seit der Industrialisierung (archiviert)

Zusammenhang CO2-Anstieg und Erderwärmung (archiviert)

Ozeane als CO2-Senke (archiviert)

Umweltbundesamt zu CO-Emissionen (archiviert)

Bericht von World Ocean Review über Folgen von CO2 (archiviert)

Aktuelle CO2-Konzentration laut Wetterbehörde NOAA (archiviert)

WMO zu CO2-Konzentration (archiviert)

dpa-Faktencheck zu paläoklimatischen Daten

dpa-Faktencheck zu natürlichen Klima-Faktoren

Kurz-Info zu GISP 2 (archiviert)

Spektrum – Lexikon der Geowissenschaften: Paläoklimatologie (archiviert)

GISP2: Temperatur-Rekonstruktion, 1997 (archiviert)

Alley: Eisbohrkern-Beweise für abrupte Klimaveränderungen, 2000 (archiviert)

Alley: Abrupter Klimawandel, 2004 (archiviert)

Beitrag Easterbrooks mit der Grafik, 2010 (archiviert)

Easterbrooks Aussagen zur Erwärmung, 2006 (archiviert)

Tweet Rahmstorf (archiviert)

IPCC-Vorsitzender Hoesung Lee (archiviert)

Kurz-Zusammenfassung zu IPCC-Klimaberichten 2022 (archiviert)

Über den IPCC (archiviert)

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