Podgorica – Ausgerechnet dem bisherigen EU-Musterschüler Montenegro droht nun ein Stopp der Beitrittsgespräche. Sollte die aktuelle Verfassungskrise im Land nicht gelöst werden, „könnten wir in Brüssel im Jänner oder Februar darüber beraten, dass wir den ganzen Prozess stoppen“, sagte die slowenische Außenministerin Tanja Fajon am Mittwoch in Podgorica. Sie war mit ihrem österreichischen Kollegen Alexander Schallenberg (ÖVP) im Auftrag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell angereist.
Hintergrund der Mission sind Versuche der pro-serbischen Parlamentsmehrheit, die Verfassungsordnung des EU-Beitrittswerberlandes auszuhebeln. Weil Staatspräsident Milo Đukanović die Ernennung einer neuen Regierung verweigert hat, sollten ihm seine diesbezüglichen Kompetenzen per Anlassgesetz genommen werden. Die offenkundige Verfassungswidrigkeit dieses Unterfangens kann aber nicht festgestellt werden, weil das montenegrinische Verfassungsgericht derzeit aufgrund von vier unbesetzten Richterstellen nicht handlungsfähig ist.
Das neue Präsidentengesetz sei „vorsichtig ausgedrückt sehr fragwürdig“, sagte Schallenberg bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Fajon in der EU-Vertretung in Montenegro. Sollte es umgesetzt werden, müsste die EU ihre Position gegenüber Montenegro „überdenken“. „Wir werden in Brüssel nicht darüber hinwegsehen, wenn sich dieses Land entscheidet, den falschen Weg einzuschlagen“, betonte Schallenberg. Es sei kein „Gute-Laune-Besuch“, sondern einer, von dem eine „klare Warnung“ ausgehe. Auch Fajon sprach von einem „Weckruf“. Die beiden Minister kündigten an, Borrell und ihren Amtskollegen beim EU-Außenministertreffen im Jänner berichten zu wollen.
Österreich und Slowenien zählen zu den größten Unterstützern des Westbalkans und Montenegros auf dem Weg in die Europäische Union, betonten beide Minister. „Wir möchten, dass dieses Land auf dem EU-Weg weitermacht. Alles andere wäre schlecht für die Regierung und eine Katastrophe für die Menschen in diesem Land“, sagte Schallenberg. „Niemand will das“, versicherte Fajon mit Blick auf den drohenden Stopp der Beitrittsgespräche. Sie wies darauf hin, dass Umfragen zufolge drei Viertel der Montenegriner die EU-Mitgliedschaft ihres Landes unterstützen.
Fajon und Schallenberg sprachen während ihres wenige Stunden andauernden Besuches mit Präsident Đukanović, Premier Dritan Abazović und Parlamentschefin Danijela Đurović. Details der Gespräche wollten die beiden EU-Minister nicht nennen, sehr wohl aber ihre eigenen Forderungen. Konkret verlangten sie, dass das Verfahren zur Besetzung der vier Stellen am Höchstgericht noch diese Woche gestartet und „spätestens bis Ende Jänner“ abgeschlossen wird. Sie ließen auch durchblicken, dass die EU eine auf Grundlage des umstrittenen neuen Präsidentengesetzes gebildete Regierung nicht anerkennen werde. Es wäre „gelinde gesagt gewagt“, eine Regierung zu bilden, ehe das Verfassungsgericht sich zu dem Gesetz habe äußern können.
Schengen – Nehammer bestreitet „politische Agitation“
Wien – Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat angesichts einer Weihnachtsbilanz nach dem Ministerrat das Veto Österreichs gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens verteidigt. Dies sei keine Frage der „politischen Agitation“. Emotionalisierung in solchen Fragen sei ein Fehler. Vielmehr gehe es um Fakten, verwies er einmal mehr darauf, dass nach Ansicht der ÖVP ein großer Teil der Flüchtlingsbewegung über die beiden Länder kommt.
Mit Bulgarien sieht sich der Kanzler in gutem Austausch. Er werde das Land auch besuchen und Sofia entsprechende Unterstützung zusagen. Dass eigentlich Ungarn Zielscheibe der österreichischen Kritik sein sollte, weil es die Flüchtlinge durchwinkt, kommentierte Nehammer nicht direkt. Allerdings betonte er, „keine Sekunde naiv“ gegenüber dem Land zu sein. Doch sei Ungarn gleichzeitig Österreichs Nachbar und es brauche eine sicherheitspolitische Kooperation.
Dass die Grünen vom Schengen-Veto denkbar wenig halten, focht Nehammer nicht an. Auch wo man nicht einer Meinung sei, versuche man es so hinzubekommen, dass kein Stillstand, keine Blockade entstehe.
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) betonte dann auch, dass man an den Voraussetzungen arbeite, unter denen die Beitritte erfolgen können. „Idealerweise“ strebt er diese für die schwedische Ratspräsidentschaft, also das erste Halbjahr 2023 an.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hatte beim EU-Innenministertreffen am 8. Dezember der Schengen-Erweiterung um Kroatien zugestimmt, zugleich aber ein Veto gegen Rumänien und Bulgarien eingelegt. Dies führte zu massiver Kritik und diplomatischer Verstimmung insbesondere mit Rumänien, das sich zu Unrecht um seine Schengen-Mitgliedschaft gebracht sieht. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sagte daraufhin, es habe sich um „kein Veto“ gehandelt, sondern um einen „Hilferuf in gewisser Hinsicht“. Im Außenministerium legte man am Mittwoch Wert auf die Feststellung, dass der Minister damit in keiner Weise die Unsachlichkeit der österreichischen Entscheidung eingeräumt habe. Der Minister „steht zu dieser Entscheidung“, sagte eine Sprecherin der APA. Das Innenministerium hatte nach entsprechender Expertenkritik mitgeteilt, dass die Hauptmigrationsströme nach Österreich über das Nicht-EU-Mitglied Serbien verlaufen.
Schengen – Edtstadler verteidigt Veto
Wien – Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat am Mittwoch das österreichische Veto gegen einen Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien verteidigt. Grund dafür sei der „hohe Leidensdruck“, unter dem die Republik aufgrund des Zustroms Asylsuchender stehe, sagte Edtstadler. Die Ablehnung einer Erweiterung des Schengenraums richte sich nicht gegen die beiden Beitrittskandidaten, sondern sorge dafür, dass die EU das Migrationsthema „ganz oben auf die Agenda setzt“.
Der Erhalt der inneren Sicherheit sei ausschlaggebend für den Erhalt des Friedensprojekts Europas, betonte sie laut Aussendung bei der Aktuellen Europastunde im Bundesrat. Der „schreckliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine“, mit weltweit spürbaren Folgen – etwa bei der Nahrungsmittelsicherheit – führe dies vor Augen. Kritisch merkte Edtstadler an, dass die EU seit der Flüchtlingswelle 2015 kein funktionierendes Asylsystem in die Wege geleitet habe.
Als ihre „Vision“ beschrieb Edtstadler „ein Europa ohne Grenzen nach innen“. Dafür brauche es aber einen effektiven Außengrenzschutz. Die Länder an den Außengrenzen müssten von der EU finanzielle Unterstützung zur Grenzsicherung erhalten, auch bei der Errichtung von Grenzbarrieren wie Zäunen. Mit beschleunigten Asylverfahren an den Grenzen solle gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention jenen, die keine Chance auf Asyl haben, der Zutritt in die EU verwehrt werden, um tatsächlich Schutzsuchenden die Aufnahme zu ermöglichen. Edtstadler kündigte an, dass Anfang Februar kommenden Jahres ein EU-Sonderrat der Staats- und Regierungschefs anhand eines Fünf-Punkte-Plans aus Österreich Maßnahmen zur Verbesserung des Asylsystems beraten werde.
Während die FPÖ im Bundesrat vor einer neuen „Völkerwanderung“ nach Europa warnte, verwehrten sich die NEOS dagegen, Schengen und die Asylpolitik der EU zu vermengen. Die SPÖ ortete innenpolitische Gründe für die Blockadehaltung von Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP), und auch die Grünen hielten fest, die Entscheidung des Koalitionspartners nicht zu billigen. Seitens der ÖVP wurde unterstrichen, zur Ausweitung des Personen- und Warenverkehrs ohne Grenzkontrollen im Binnenmarkt müsse die EU den Schutz ihrer Außengrenzen verbessern.
Diese Zusammenstellung ist eine redaktionelle Auswahl auf der Grundlage der Europa-Berichterstattung der APA. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der APA. Der EU Digest erscheint jeweils montags und donnerstags.