In einem Monat, am 23. Februar, wählt Deutschland ein neues Parlament. Während die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union mit dem Wahlkampf beschäftigt ist, bleibt nicht viel Spielraum für dringende europäische Themen. Je nach Wahlausgang könnten schwierige und langwierige Koalitionsverhandlungen folgen – was die Deutsche Politik weiter lähmen und von EU-Themen ablenken würde.
Die Auseinandersetzungen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Koalitionspartnern darüber, wie die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden soll, waren der Grund für den Zusammenbruch der Regierung im November. Sie bestand aus den Sozialdemokraten (SPD), den Grünen und den liberalen Freien Demokraten (FDP).
Es geht um die Wirtschaft, Olaf
Die deutsche Wirtschaft schrumpfte 2024 nach offiziellen deutschen Zahlen das zweite Jahr in Folge. Es besteht wenig Hoffnung auf eine schnelle Erholung, da Europas Wirtschaftsmotor auch in einer politischen Krise steckt. Das Bruttoinlandsprodukt der größten europäischen Volkswirtschaft sank im vergangenen Jahr nach vorläufigen Zahlen des statistischen Bundesamtes Destatis um 0,2 Prozent, nachdem es 2023 um 0,3 Prozent geschrumpft war.
Deutschland befindet sich in der ungewöhnlichen Lage, im europäischen Vergleich das Schlusslicht beim Wachstum zu bilden – die Europäische Kommission prognostiziert für die gesamte Eurozone ein Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent im Jahr 2024, das deutlich über dem deutschen Ergebnis liegt.
Die strukturellen Probleme Deutschlands sind vielfältig und beeinträchtigen seine wirtschaftliche Position in der EU.
„Im Vergleich zu anderen Standorten weltweit sind die Belastungen der Unternehmen durch Steuern, Bürokratie und Energiekosten hoch, die Erneuerung der Digital-, Energie- und Verkehrsinfrastruktur kommt langsamer voran und der Fachkräftemangel ist ausgeprägter.”
TIMO WOLLMERSHÄUSER, IFO INSTITUT
Timo Wollmershäuser, Leiter der Konjunkturforschung und -prognosen des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, legte Mitte Januar die Herausforderungen dar.
Wer wird in Deutschland regieren?
Nach dem 23. Februar wird Deutschland höchstwahrscheinlich wieder von einer Koalitionsregierung regiert werden, doch eine Rückkehr der so genannten Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen ist unwahrscheinlich. Das Wiederankurbeln der deutschen Wirtschaft wird eine der Hauptaufgaben der neuen Regierung sein, die – nach den aktuellen Umfragen zu urteilen – von den konservativen Unionsparteien CDU/CSU geführt werden könnte.
In Umfragen fünf Wochen vor der Wahl ist das Bild ziemlich klar: Die Christlich Demokratische Union (CDU) und ihre bayerische Schwesterpartei CSU führen in den Umfragen der drei großen Meinungsforschungsinstitute mit einer Spanne von 29 bis 31 Prozent, gefolgt von der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) mit 20 bis 21 Prozent.
Scholz‘ SPD ist nach diesen Umfragen nur die drittstärkste Partei mit rund 16 bis 18 Prozent, die Grünen liegen bei 13 bis 14 Prozent. Die FDP liegt derzeit bei 4 bis 5 Prozent – sie muss zittern, ob sie über die 5-Prozent-Hürde kommt, um in den Bundestag einzuziehen. Auch die Partei Die Linke (3 bis 4 Prozent) und das neue links-konservative Bündnis Sahra Wagenknecht (4 bis 7 Prozent) könnten an dieser Hürde scheitern.
Auf die Frage, wen sie sich als Bundeskanzler wünschen, bevorzugen die deutschen Wähler zu gleichen Teilen den CDU/CSU-Kandidaten Friedrich Merz und den Grünen Robert Habeck (beide 23 Prozent) vor Scholz (17 Prozent). Der deutsche Bundeskanzler wird nicht direkt gewählt.
Eine Koalition zwischen CDU/CSU und SPD ist das wahrscheinlichste Szenario. Eine Regierungsbildung mit der AfD haben bisher alle Parteien ausgeschlossen.
Was steht in Deutschland und Europa auf dem Spiel?
Wer auch immer in Berlin das Ruder übernimmt, hat eine umfangreiche Aufgabenliste vor sich. Neben der Sanierung der Wirtschaft und der bröckelnden Infrastruktur des Landes drängen die Deutschen auf niedrigere Energiekosten, und das Land muss seine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen weiter verringern. Eine Frage ist, ob die neue Regierung den Bau von Gaskraftwerken subventionieren wird, die in Zeiten, in denen die Wind- und Solarenergie nicht ausreicht, als Reserve dienen sollen.
Es wird erwartet, dass der künftige Bundeskanzler Merz in mehreren zentralen Politikfeldern einen Kurswechsel vornehmen wird – Umweltschützer befürchten Rückschritte. So steht Merz der Energiewende in Deutschland skeptischer gegenüber, und seine Partei hat bereits versprochen, die Subventionen für Landwirte wieder einzuführen. Den Ausstieg aus der Kernenergie hat er zwar kürzlich als bedauerlich bezeichnet, doch für eine Umkehr ist es jetzt wohl zu spät. Merz betonte, dass er an Deutschlands Weg zur Energiewende weg von fossilen Brennstoffen festhält.
Was will Merz?
Der konservative Parteivorsitzende sieht sich in einer besseren Ausgangsposition für Verhandlungen mit US-Präsident Donald Trump als Scholz, der sich kritischer gegenüber der neuen US-Regierung geäußert hat – insbesondere im Hinblick auf die jüngsten Interventionen des Trump-Unterstützers Elon Musk im deutschen Wahlkampf.
Merz‘ vermeintlich besseres Verhältnis zu Trump könnte entscheidend werden, wenn der US-Präsident sein Versprechen einlöst, neue Zölle einzuführen. Deutschland befürchtet, dass es in einem neuen Handelskrieg zwischen der EU und den USA an vorderster Front stehen könnte, was die exportorientierte deutsche Wirtschaft hart treffen würde.
„Solange die europäischen Mitgliedsstaaten vereint sind, werden sie in der Welt respektiert, auch in den USA. Und solange sie gespalten sind, wird uns niemand ernst nehmen.“
CDU-CHEF FRIEDRICH MERZ
Bei einem Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) in Berlin am 18. Januar fügte Merz mit Blick auf die Amtseinführung Trumps am darauffolgenden Montag hinzu, dieses Ereignis werde „unsere Bemühungen beschleunigen, unsere Kräfte zu bündeln und gemeinsam zu handeln.“
Trump wird auch fordern, dass Deutschland – und die EU – sich deutlicher gegenüber China positionieren. Die neue Regierung in Berlin wird sich überlegen müssen, wie sie mit diesen und anderen Forderungen aus Washington umgehen will.
Merz betonte, dass Deutschland eine Führungsrolle in Europa übernehmen müsse. Seiner Meinung nach wäre es entscheidend, das Mercosur-Handelsabkommen mit mehreren südamerikanischen Staaten zu verabschieden, sagte er am Dienstag.
Auch sollten die europäischen Regierungen ihre Zusammenarbeit bei der Beschaffung von Rüstungsgütern verbessern. „Es gibt sehr viele Möglichkeiten für die Europäer, die wir zurzeit nicht ausschöpfen“, so Merz. Eine weitere Aufgabe der neuen Regierung ist es, die Bundeswehr nach Jahren der Sparmaßnahmen wieder in Form zu bringen.
Während die Scholz-Regierung intern gespalten war, wie viel Unterstützung sie der Ukraine geben sollte, spricht sich Merz weiterhin für eine verstärkte militärische Unterstützung des umkämpften Landes aus.
Er warf Scholz letzte Woche ein Wahlkampfmanöver vor, weil dieser sich weigerte, weitere Waffenlieferungen an die Ukraine im Wert von rund 3 Milliarden Euro zu genehmigen. Merz – und auch die ehemaligen Koalitionspartner von Scholz – halten die Finanzierung dieser Hilfe als „außerplanmäßige Ausgabe“ für möglich, ohne neue Schulden zu machen.
Scholz hingegen fordert eine zusätzliche Verschuldung, die die sogenannte Schuldenbremse – die verfassungsrechtlichen Beschränkungen für Neuverschuldung in Deutschland – tangieren würde. Es wird nun erwartet, dass die Ukraine auf eine Entscheidung bis nach den Wahlen am 23. Februar warten muss.
Auch in der Migrationsfrage verfolgt Merz eine härtere Linie. An der EVP-Tagung wies er darauf hin, dass es eine Reihe neuer Initiativen anderer EU-Mitgliedstaaten gebe, um die europäischen Regeln für die Migration zu verbessern. „Wir brauchen härtere Regeln, um die irreguläre Migration nach Europa zu begrenzen“, sagte er. Italien und die Niederlande hätten in dieser Frage große Fortschritte gemacht. „Deutschland leider nur kleinere Schritte.“
Abgesehen von den großen Themen wie Migration und Verteidigung blicken andere EU-Mitglieder bei bestimmten Aspekten der Zusammenarbeit auf Deutschland:
In Schweden zum Beispiel hofft die konservative Regierung auf eine bessere Zusammenarbeit in Energiefragen mit Deutschland. Energieministerin Ebba Busch möchte, dass Deutschland das Land in Strompreiszonen einteilt, was sich auch auf die Preise in Schweden auswirken würde. Gleichzeitig steht Busch der deutschen Haltung zur Kernenergie sehr kritisch gegenüber.
„Es ist eine Sache, dass Deutschland die Kernenergie für sich selbst nicht will, aber eine andere Sache, wenn es andere daran hindert, Mittel dafür zu verwenden. Das ist Heuchelei“, schimpfte Busch im Dezember in Brüssel.
In Europa ist Schweden auf die Unterstützung Deutschlands angewiesen, wenn es darum geht, sparsam zu sein. Regierung und Opposition sind sich einig in der Ablehnung jeglicher Pläne für eine gemeinsame europäische Kreditaufnahme und wollen den europäischen Haushalt so klein wie möglich halten. Aber der Druck auf Schweden ist groß, dem Wandel in Finnland und Dänemark zu folgen, wo andere traditionell sparsame Regierungen ihre Haltung geändert haben.
Dieser Artikel wird zweimal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.