Spanien, die Niederlande, Italien und Portugal gehören zu den zehn Ländern, die dank des Getreideabkommens zu Transporten über das Schwarze Meer am meisten ukrainisches Getreide einführten. Bedeutet dies, dass der Westen am meisten von dem Abkommen profitiert haben? In den sozialen Netzwerken behaupten manche, die bedürftigen armen Ländern der Welt hätten auf diesem Weg viel weniger Getreide erhalten. Ob das stimmt, lässt sich anhand von Statistiken der Vereinten Nationen überprüfen.

Bewertung

Die UN-Zahlen belegen, dass die Behauptung falsch ist. Das meiste Getreide aus der Ukraine wurde im Rahmen des Abkommens an Entwicklungsländer geliefert.

Fakten

Am 22. Juli 2022 hatten die Vereinten Nationen und die Türkei mit Russland und der Ukraine vereinbart, dass die Ukraine trotz des russischen Angriffskrieges ihr Getreide über einen Schiffs-Korridor im Schwarzen Meer exportieren darf. Voraussetzung war, dass Schiffe, Ladung und Besatzung von Vertretern der vier Vertragsparteien kontrolliert werden dürfen. Das sollte Hunger in der Welt verhindern, weil die Ukraine als weltweit wichtiges Produktionsland andernfalls ausgefallen wäre.

In einem Facebook-Post wurde nun behauptet, anders als von den «Clowns in der Tagesschau» berichtet, sei das meiste Getreide aus ukrainischen Häfen «eben nicht an hungernde Nationen, sondern in den Westen» gegangen. Von 33 Millionen Tonnen seien nur 2,6 Millionen Tonnen an «hungernde Länder» gegangen, «also ca. 10 Prozent» (tatsächlich wären das nur knapp 8 Prozent).

Russland ließ das Abkommen auslaufen

Die russische Regierung hatte am 17. Juli 2023 mitgeteilt, es werde das an diesem Tag auslaufende Abkommen vorerst nicht mehr verlängern. Unter anderem hatte Moskau das damit begründet, dass westliche Sanktionen die eigenen Düngemittelexporte behinderten.

Da die Getreideexporte gemäß dem Abkommen strikt kontrolliert werden, liegen präzise Daten über die das Abkommen nutzenden Schiffe, deren Ladung und deren Bestimmungsort vor. Diese sind auf einer eigens für dieses Abkommen eingerichteten Webseite der Vereinten Nationen öffentlich zugänglich.

57 Prozent gingen an Entwicklungsländer

Demnach sind seit der Unterzeichnung des Abkommens vom Juli 2022 insgesamt 32,9 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine über den Schiffskorridor exportiert worden. Davon gingen rund 14 Millionen Tonnen, also 43 Prozent, an entwickelte Staaten. 18,8 Millionen Tonnen wurden hingegen an Entwicklungsländer geliefert. Das sind gut 57 Prozent der gesamten Exporte.

Die Vereinten Nationen schlüsseln die Exporte auch nach den Reichtumsgruppen der Welt auf. Demnach gingen 44 Prozent der Exporte (14 Millionen Tonnen) an Staaten mit hohem Einkommen. 37 Prozent (12 Millionen Tonnen) wurden an Staaten mit «oberem mittlerem Einkommen» und 17 Prozent (5,6 Millionen Tonnen) an Staaten mit «niedrigem mittleren Einkommen» geliefert. 2,5 Prozent (0,8 Millionen Tonnen) entfielen auf Staaten mit niedrigem Einkommen.

Nahrungsmittelhilfen wurden nach Verarbeitung weitergeleitet

Größter Kunde für das Getreide aus der Ukraine war China mit 8 Millionen Tonnen. Zweitgrößter Kunde war Spanien (6 Millionen Tonnen), gefolgt von der Türkei (3,2 Millionen Tonnen). Die Vereinten Nationen weisen dabei ausdrücklich darauf hin, dass die Türkei einen großen Teil der Nahrungsmittelhilfen verarbeitet, die das UN-Welternährungsprogramm (WFP) anschließend an Länder wie Afghanistan, Äthiopien, Somalia, Kenia, Sudan oder Jemen weiterleitet. Insgesamt 725 000 Tonnen wurden vom Welternährungsprogramm aufgekauft.

Zu den Ländern mit hohem Einkommen, die knapp 44 Prozent der Exporte aufnahmen, gehören die meisten Ländern der Europäischen Union. Darüber hinaus werden Großbritannien, Japan, Oman, Korea, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate aufgeführt.

Der Großkunde China rangiert in der Gruppe der Länder mit oberem mittleren Einkommen ebenso wie die Türkei und beispielsweise der Irak, Libyen oder Thailand. Auch die Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen sind alles andere als reich: dazu gehören Bangladesch, Ägypten, Indien, Kenia, Pakistan oder Tunesien.

Größeres Angebot auf dem Weltmarkt dämpft die Inflation

Einer UN-Bilanz zufolge sind seit Juli 2022 insgesamt 45 Länder auf drei Kontinenten mit Getreide aus der Ukraine beliefert worden. Diese Exporte haben laut UN dazu beigetragen, dass die Weltmarktpreise für Lebensmittel, die zur Zeit des Vertragsabschlusses stetig stiegen, um mehr als 23 Prozent gesunken sind. Das Abkommen lege nicht fest, wer beliefert werden dürfe. «Exporte in alle Länder, ob reich oder arm, können jedoch zur Beruhigung der Weltmärkte beitragen und die Inflation der Lebensmittelpreise abmildern», heißt es auf der Webseite der Vereinten Nationen. Mit anderen Worten: Wenn das Angebot an Getreide auf dem Weltmarkt insgesamt größer ist, steigen die Preise weniger schnell. Und dann können auch ärmere Staaten leichter selbst Getreide einkaufen.

Das meiste Getreide aus der Ukraine ist also nicht in den Westen geliefert worden. Das meiste Getreide aus der Ukraine ging an Entwicklungsländer. Genau so hat es übrigens die Tagesschau zutreffend berichtet.

Links

Facebook-Postarchiviert

Vereinbarung von 2022archiviert

TASS zu Abkommenarchiviert

Daten UN-Überwachungarchiviert

UN Black Sea Initiativearchiviert

UN-Webseite Bilanzarchiviert

Tagesschau-Berichtarchiviert

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