Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am Donnerstag den Weg freigemacht für Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina (BiH). Die Verhandlungen werden jedoch erst beginnen, wenn Bosnien und Herzegowina weitere wichtige Reformen umgesetzt hat.
„Herzlichen Glückwunsch! Euer Platz ist in der europäischen Familie. Die heutige Entscheidung ist ein bedeutsamer Schritt auf eurem Weg in die EU“, verkündete der Vorsitzende des Europäischen Rates Charles Michel auf X (früher Twitter), als die Staats- und Regierungschefs am 22. März zu einem EU-Gipfel in Brüssel zusammenkamen.
„Nun muss die harte Arbeit fortgesetzt werden, damit Bosnien und Herzegowina laufend weiterkommt, so wie euer Volk es will“, fügte Michel hinzu.
Weitere Reformen
Bosnien und Herzegowina (BiH) ist seit 2022 offizieller Beitrittskandidat zur Europäischen Union (EU). Vor dem Start der nächsten Phase musste das Land jedoch eine Reihe von Reformauflagen umsetzen. Letzte Woche erklärte Brüssel, das Land habe viele der erforderlichen Schritte abgeschlossen, doch einige Justiz- und Wahlreformen seien bislang nicht erfüllt.
Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die Bemühungen um eine EU- Erweiterung in Ost- und Mitteleuropa verstärkt. Im Dezember beschlossen die Mitgliedstaaten, Gespräche mit der Ukraine und Moldawien aufzunehmen.
Das Bemühen um neue Mitglieder ist Teil der Bestrebungen, den russischen und chinesischen Einfluss im „Hinterhof“ der EU zurückzudrängen.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte, Bosnien sei nun „vollständig auf die Außen- und Sicherheitspolitik der EU ausgerichtet“. Das Land hat die Steuerung der Einwanderungsströme verbessert und Gesetze zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verabschiedet.
Von der Leyen begrüßte auch die Zustimmung von BiH, die Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in die nationalen Strafregister aufzunehmen.
Sie verwies auf weitere Schritte in Richtung Dialog und Versöhnung nach dem Krieg in den Jahren 1992-1995 und auf die Einrichtung eines neuen Ausschusses für Friedenskonsolidierung.
Die Verhandlungsaufnahme ist nur der Anfang eines langen Prozesses weiterer sorgfältiger Reformen, die in der Regel viele Jahre dauern, bevor ein Land schließlich der EU beitritt. Milorad Dodik, der Präsident der vorwiegend von Serben bewohnten Entität Republika Srpska, hat seit langem großen Einfluss auf die bosnischen Serben ausgeübt. Er gilt nach wie vor als Verbündeter des Kremls. Dodiks Handlungen haben häufig zu ethnischen Spannungen geführt und damit die EU-Integration Bosniens gefährdet.
Bosniens regionale Nachbarn, Nordmazedonien, Montenegro, Serbien und Albanien, sind in ihren Beitrittsverhandlungen bereits weiter fortgeschritten, aber alle sind noch weit von einer Mitgliedschaft entfernt.
Hindernisse für eine Mitgliedschaft
Die Entscheidung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen stieß auf heftigen Widerstand einiger Mitgliedstaaten, darunter die Niederlande, Dänemark, Frankreich und Estland. Sie argumentierten, dass vor Bosnien und Herzegowina noch ein weiter Weg liege.
Das niederländische Parlament erwog, den Beginn der Beitrittsgespräche zu blockieren. Premierminister Mark Rutte warnte, dass ein Veto den Niederlanden „enormen Schaden“ zufügen würde, und überzeugte eine Mehrheit, sich für eine mildere Lösung zu entscheiden. Das Parlament forderte Rutte auf, die Einigung über den Verhandlungsrahmen – ein Verfahrensschritt vor Beginn der eigentlichen Gespräche – so lange zu blockieren, bis BiH die acht zusätzlichen Anforderungen erfüllt hat, die die Europäische Kommission Ende letzten Jahres festgelegt hatte. So konnte er sich auf das symbolische grüne Licht für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen einigen.
Auf der anderen Seite haben die „Freunde des Balkans“, darunter Italien, Kroatien, Österreich, Ungarn und Slowenien, die Fortschritte Sarajevos im Integrationsprozess beschleunigt. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bezeichnete die Aufnahme von Verhandlungen über den EU-Beitritt von Bosnien und Herzegowina als einen großen Schritt in Richtung Wiedervereinigung.
Der slowenische Premierminister Robert Golob nannte die Entscheidung des Europäischen Rates, Beitrittsverhandlungen zu beginnen, einen wichtigen Schritt auf dem Weg Bosniens und Herzegowinas in die europäische Familie.
Es sei auch eine wichtige und ermutigende Botschaft an die gesamte westliche Balkanregion und trage zur Stabilität, Entwicklung und einer besseren Zukunft bei, so Golob.
Der slowakische Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten, Juraj Blanár, betonte, dass der EU-Beitritt Bosniens auch im Interesse der Slowakei liege. Er erinnerte daran, dass die westlichen Balkanländer seit mehr als zwei Jahrzehnten auf die EU-Mitgliedschaft warten.
Ukraine und Moldawien: Forderungen nach Reformen und vorhersehbaren Zeitplan
Der aus dem Amt scheidende portugiesische Premierminister António Costa gehörte zu denjenigen, die einen vorsichtigeren Ansatz für die EU- Erweiterung verfolgten: Obwohl er einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine, der Republik Moldau und der westlichen Balkanländer nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstand, betonte er immer wieder, dass die EU den Prozess nicht überstürzen und keine emotionalen Entscheidungen treffen sollte. Insbesondere bezog er sich dabei auf die Ukraine.
Nach dem informellen Gipfeltreffen des Europäischen Rates im spanischen Granada am 6. Oktober erklärte Costa, dass es von grundlegender Bedeutung sei, die internen Reformen abzuschließen, um den Erfolg der EU-Erweiterung sicherzustellen.
Er warnte davor, die Reformen nur im Hinblick auf den EU-Beitritt durchzuführen und betonte, dass beide Prozesse synchron verlaufen sollten.
Costa äußerte auch Bedenken hinsichtlich der aktuellen Finanzarchitektur, die nicht in der Lage sei, mit den unterschiedlichen Volkswirtschaften umzugehen. Er fügte hinzu, dass dies der Grund sei, warum man sich gegen die Festlegung eines Termins für die Reformen im Rahmen der EU-Erweiterung ausgesprochen habe.
Der rumänische Präsident Klaus Iohannis forderte einen vorhersehbaren Zeitplan für den Beitritt der Ukraine und der Republik Moldau. Außerdem die rasche Annahme des von der Kommission vorgeschlagenen Verhandlungsrahmens und die Organisation der ersten Regierungskonferenzen mit den beiden Beitrittskandidaten.
BiH bekommt starken Rückenwind von Kroatien
Die Entscheidung des Europäischen Rates, Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufzunehmen, sei ein Anreiz für das Land, die Reformen fortzusetzen, sagte der kroatische Premierminister Andrej Plenković.
Insbesondere die Änderung des Wahlgesetzes und die Beendigung der Überstimmung der Kroaten seien dabei entscheidend. Die Kroaten fühlen sich in den Institutionen nicht angemessen repräsentiert.
Plenković äußerte sich gegenüber dem in Mostar ansässigen Herceg-Bosna Radio-Television zuversichtlich: „Diese Entscheidung ist ein großer Ansporn für weitere Reformen und dem Annäherungsprozess, den bereits die Ukraine und Moldawien begonnen haben.“
Plenković sagte, dass BiH seine Fortschritte auf dem Weg in die EU durch die Umsetzung von Reformen beschleunigen könne. Besonders die Wahlreform sei entscheidend. Plenković betonte: „Es ist wichtig, die Frage der legitimen Vertretung der Kroaten in der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina zu lösen.” Diese Problematik besteht seit 2006 und ist eine Missachtung des konstituierenden Volkes sowie eine Verzerrung der Intention des Friedensabkommens von Dayton.”
Bosnien und Herzegowina hat ein Wahlsystem, das auf drei ethnischen Gruppen basiert. Bosniakische politische Parteien plädieren für die Abschaffung des ethnischen Prinzips bei Wahlen. Die kroatische Minderheit in der Föderation Bosnien und Herzegowina, die nur ein Drittel der bosniakischen Bevölkerung ausmacht, fürchtet, von den zahlreichen Bosniaken überstimmt zu werden. Dies ist bereits viermal bei der Wahl der Mitglieder des kollektiven Vorsitzes geschehen.
Bulgarien fordert Nordmazedonien auf, seine Minderheit anzuerkennen
Auf dem Bukarester Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) sagte die stellvertretende bulgarische Ministerpräsidentin Mariya Iwanowa Gabriel der Ukraine, Moldawien und Georgien ihre Unterstützung auf dem Weg zum EU-Beitritt zu.
Bei einem Treffen zwischen dem bulgarischen Premierminister Nikolay Denkov und der slowenischen Präsidentin Nataša Pirc Musar am 27. Februar stand die EU-Erweiterung um die westlichen Balkanstaaten im Fokus.
„Unsere Region verfügt über ein enormes Entwicklungspotenzial, wenn wir zusammenarbeiten“, sagte Denkov. Bulgarien unterstützt die EU-Erweiterung, jedoch müssten die Beitrittskandidaten ihren Verpflichtungen nachkommen.
Am 6. März forderte das bulgarische Außenministerium Nordmazedonien auf, die politischen Verpflichtungen aus dem Kompromiss von 2022 zu erfüllen. Dies beinhaltet die Änderung der Verfassung Nordmazedoniens, um die bulgarische Minderheit im Land anzuerkennen und den Weg für EU-Beitrittsgespräche freizumachen.
EU-Erweiterung für die restlichen westlichen Balkanländer?
Die EU hat ihre Türen für eine Erweiterung geöffnet, auch für den westlichen Balkan, so Miroslav Lajčák, EU-Sonderbeauftragte für den Dialog zwischen Belgrad und Pristina. Er betonte, dass sich die Atmosphäre in Brüssel und den Mitgliedstaaten deutlich verändert habe. Die Mitglieder zeigen nun ernsthaftes Interesse an der Erweiterung und die Türen stehen offen. Jetzt gilt es, diese Gelegenheit zu nutzen, denn die Balkanregion ist für eine vollständige Integration Europas geopolitisch von großer Bedeutung.
In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates heißt es, dass die internen Reformen auf einer der nächsten Tagungen behandelt werden sollen. Bis zum Sommer 2024 sollen konkrete Maßnahmen beschlossen werden.
Gabriel Escobar, US-Sonderbeauftragte für den westlichen Balkan, sprach sich für die volle EU-Mitgliedschaft Nordmazedoniens aus. „Nordmazedonien ist ein sehr solider Partner, sowohl auf bilateraler Ebene als auch in multilateralen Gremien wie der NATO und der OSZE“, schrieb er auf X.
Escobar äußerte die Erwartung, dass die neue Regierung sich weiterhin für die NATO, den EU-Beitritt und die Bekämpfung von Korruption einsetzen werde.
Dieser Artikel wird wöchentlich veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.