Die Risiken für Kinder im Internet werden in Europa zunehmend kritisch gesehen. Politische Entscheidungsträger intensivieren ihre Bemühungen, strengere Regeln zur Altersverifikation einzuführen und Kinder online besser zu schützen. Von EU-weiten Richtlinien bis hin zu nationalen Pilotprogrammen für Technologien zur Altersüberprüfung nimmt die Debatte darüber, wie weit das gehen kann, an Fahrt auf.
Der umfangreichste Vorschlag ist ein komplettes Verbot für Kinder unter einem bestimmten Alter, soziale Medien zu nutzen. Mehrere Mitgliedstaaten wie Frankreich und Spanien wollen diesen Ansatz verfolgen.
Befürworter argumentieren, dass dies notwendig sei, um Kinder unter 15 Jahren – in Spanien unter 16 Jahren – vor den schädlichen Auswirkungen sozialer Medien zu schützen. Sie verweisen auf Studien, die soziale Medien mit Angstzuständen, Depressionen, geringem Selbstwertgefühl sowie Cybermobbing und Online-Pädophilie in Verbindung bringen.
Bei den meisten sozialen Medien wie Facebook, Instagram und TikTok ist das Mindestalter für die Erstellung eines Kontos bei 13 Jahren festgesetzt. In der Praxis ist es jedoch einfach, diese Regeln zu umgehen, indem man schlicht falsche Angaben zum Alter macht – was viele Kinder tatsächlich tun.
Ein Sprecher der Europäischen Kommission stellte im vergangenen Monat klar, dass nicht beabsichtigt sei, ein EU-weites Altersverbot einzuführen. Gleichzeitig ließ er jedoch die Möglichkeit für eigene Gesetzesvorhaben von nationalen Regierungen offen.
Altersverifikation kommt in fünf EU-Ländern
Das bedeutet jedoch nicht, dass die EU Däumchen dreht.
Die Kommission gab Anfang des Monats bekannt, derzeit einen Prototyp einer Altersverifikations-App zu testen, die zunächst in Dänemark, Frankreich, Spanien, Griechenland und Italien eingeführt werden soll.
Sie soll es ermöglichen, das Alter der Nutzenden anonym zu überprüfen, ohne persönliche Daten wie Name oder Geburtsdatum zu speichern.
Langfristig ist geplant, die Technologie in die digitale EU-ID-Karte (eID) zu integrieren – eine Art offizieller Online-Identitätsnachweis, der ab Ende 2026 verfügbar sein wird.
Auch Rumänien prüft strengere Maßnahmen zur Altersverifikation und welchen Zugang Kinder zu sozialen Medien haben. Derzeit wird ein Gesetzesentwurf diskutiert, der darauf abzielt, Minderjährige vor schädlichen Inhalten auf sogenannten „sehr großen Online-Plattformen“ (VLOPs) zu schützen – also Plattformen oder Suchmaschinen mit mehr als 45 Millionen Nutzerinnen und Nutzern pro Monat.
Der vorgeschlagene Gesetzesentwurf würde Plattformen verpflichten, strenge Altersverifikationen umzusetzen, elterliche Kontrollmöglichkeiten anzubieten, monatliche Aktivitätsberichte an Erziehungsberechtigte zu senden und schnell auf Warnungen der Behörden zu schädlichen Inhalten zu reagieren. Ziel ist es, Inhalte zu bekämpfen, die Gewalt verherrlichen, Essstörungen oder Selbstverletzungen fördern oder Minderjährige Nacktheit oder illegalen Handlungen aussetzen. Plattformen wäre es zudem untersagt, Live-Inhalte mit Minderjährigen ohne Zustimmung zu monetarisieren. Bei Nichteinhaltung drohen Geldstrafen von bis zu 3 Prozent des weltweiten Umsatzes. Ein parlamentarischer Bericht wird für den 3. September erwartet.
In Frankreich gibt es bereits strengere Maßnahmen, um Minderjährigen den Zugang zu pornografischen Inhalten zu erschweren. Das oberste Verwaltungsgericht des Landes entschied vergangene Woche, dass große pornografische Websites wie Pornhub und YouPorn Altersverifikationen einführen müssen, um den Zugang von Minderjährigen zu blockieren. Damit wurde eine frühere Aussetzung dieser Regelung aufgehoben.
Die Regierung drängte auf die Durchsetzung auf Basis eines Gesetzes aus dem Jahr 2024 und verwies auf Statistiken, die zeigen, dass bei 12-jährigen Jungen etwa die Hälfte monatlich auf solche Seiten zugreift. Die Plattformen argumentieren jedoch, dass die Regeln gegen EU-Recht verstoßen und Datenschutzbedenken mit sich bringen. Sie schlagen vor, dass Technologieunternehmen wie Apple oder Google die Verifikation übernehmen sollten. Die französische Regulierungsbehörde unterstützt stattdessen ein „doppelblindes“ Drittanbietersystem, um die Anonymität der Nutzenden zu schützen.
Dänemark will Vorreiterrolle übernehmen
Dänemark, das diesen Monat die rotierende EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, hat sich verpflichtet, den Schutz von Kindern im Internet während seiner sechsmonatigen Amtszeit zu einer Priorität zu machen.
„Es ist schwer vorstellbar, dass Kinder in einen Laden gehen und Alkohol kaufen oder in einen Nachtclub gehen können, indem sie einfach behaupten, alt genug zu sein – ohne Türsteher, ohne Ausweiskontrolle, nur mit einem einfachen ‚Ja, ich bin über 18‘“, sagte die dänische Ministerin für Digitales, Caroline Stage Olsen.
„Kinder verdienen eine sichere digitale Kindheit. Dies ist eine der Hauptprioritäten für mich während der dänischen Präsidentschaft. Ohne eine ordnungsgemäße Altersverifikation versagen wir dabei, Kinder online zu schützen“, fügte sie hinzu.
Die EU hat im Rahmen des Digital Services Act (DSA) Empfehlungen für Online-Plattformen veröffentlicht, um die Sicherheit von Kindern zu gewährleisten und sie vor gefährlichem Verhalten zu schützen.
Zu den Empfehlungen gehören:
- Das Entfernen „süchtig machender“ Funktionen wie „Gelesen“-Benachrichtigungen, die anzeigen, wann eine Nachricht gesehen wurde.
- Die Möglichkeit für Minderjährige, Nutzende einfacher zu blockieren oder stummzuschalten.
- Konten daran hindern, Inhalte herunterzuladen oder Screenshots machen zu können.
- Standardmäßiges Deaktivieren von Benachrichtigungen durch die Plattformen, insbesondere während der Schlafenszeit.
- Die Begrenzung des Zugriffs von Apps auf Fotos oder das standardmäßige Deaktivieren der Kamera.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Schutz vor Online-Grooming: Plattformen müssen in Zukunft die Konten von Minderjährigen standardmäßig privat einstellen, sodass sie für Nutzende, die nicht auf der Freundesliste stehen, nicht sichtbar sind. Dies soll das Risiko minimieren, dass Minderjährige von Fremden kontaktiert werden.
Einige Politikerinnen und Politiker fordern jedoch verbindlichere Maßnahmen. Die belgische Ministerin für Digitalisierung, Vanessa Matz, bezeichnete die EU-Richtlinien als einen Schritt in die richtige Richtung, ist jedoch der Meinung, dass die EU mutigere Schritte gehen sollte.
„Die Richtlinien schreiben nur für Plattformen, die Alkohol, Glücksspiel oder pornografische Inhalte anbieten, eine strikte Altersverifikation vor. Für andere Plattformen – selbst solche mit einer Altersgrenze von 13 oder 16 Jahren – beschränkt sich die Kommission darauf, Altersverifikationen zu empfehlen, ohne sie verpflichtend zu machen. Allerdings öffnet die Kommission die Tür für eine echte Altersverifikation auf sozialen Medien durch nationale Gesetzgebung“, sagte sie. „Ich ermutige Belgien, diese Gelegenheit zu nutzen. Dieses Rahmenwerk wird die Grundlage für die parlamentarische Debatte nach dem Sommer bilden, um Gesetze zu entwickeln, die auf digitale Herausforderungen ausgerichtet sind.“
Eurochild, ein Netzwerk von Organisationen, das sich für die Rechte von Kindern in Europa einsetzt, argumentiert, dass Altersverifikationen nicht darauf abzielen sollten, Kinder von sozialen Medien auszuschließen, sondern darauf, zu erkennen, wann ein Kind eine Plattform nutzt, und den Schutz entsprechend anzupassen. Dies sollte Teil eines umfassenderen Werkzeugkastens zum Schutz von Kindern im Internet sein.
„Für uns funktionieren Verbote im Allgemeinen nicht. Praktisch gesehen, weil die Technologie – die Altersverifikationstechnologie – noch nicht ausgereift ist, aber auch, weil sie insgesamt gegen die Rechte von Kindern verstößt“, sagte Fabiola Bas Palomares, Leiterin der Abteilung Politik und Interessenvertretung für Online-Sicherheit bei Eurochild, vergangenen Monat vor Bekanntgabe der neuesten EU-Richtlinien.
„Derzeit konzentriert sich die Debatte auf Sicherheit, und diese Verbote kommen aus einer Haltung heraus, in der politische Entscheidungsträger es überdrüssig sind, dass Online-Plattformen nicht kooperieren und nicht wirklich die Sicherheit bieten, die sie gesetzlich gewährleisten sollten.“
Sie argumentiert, dass Kinder ein Recht auf Zugang zu Informationen und auf Spiel haben und dass der Fokus darauf liegen sollte, die Gefahren zu identifizieren und anzugehen, denen Kinder online ausgesetzt sind. Dies sollte geschehen, indem Plattformen zur Einhaltung des Digital Services Act (DSA) gezwungen werden, anstatt ein generelles Verbot auszusprechen.
Handyverbote in Schulen sind weiterhin eine Option
Mehrere Mitgliedstaaten nehmen auch die Bildschirmzeit von Kindern in der Schule ins Visier.
Anfang Juli verabschiedete die slowenische Nationalversammlung Änderungen des Grundschulgesetzes, die die Nutzung elektronischer Geräte während des Unterrichts einschränken. Mobilgeräte dürfen nur dann verwendet werden, wenn sie für den Unterricht unbedingt erforderlich sind.
Die Änderungen, die ohne Gegenstimmen angenommen wurden, beinhalten auch, dass Informatik als Pflichtfach eingeführt wird. In „Informatik und digitale Technologien“ sollen Schülerinnen und Schülern der 7. Klasse – die slowenische Grundschule umfasst neun Jahre – grundlegende digitale Kompetenzen vermittelt werden.
In Bulgarien drängt das Bildungsministerium darauf, Handys in Schulen vollständig zu verbieten, weil sie sich negativ auf den Lernerfolg, die Aufmerksamkeitsspanne sowie die kognitive und emotionale Entwicklung von Kindern auswirken. Das Parlament muss dem Gesetzentwurf, der Geräte nur für Bildungs- oder medizinische Zwecke zulässt, noch zustimmen.
Während europäische Länder mit unterschiedlichen Ansätzen experimentieren, ist eines klar: Der Wettlauf, Kinder online zu schützen, nimmt an Fahrt auf, und die Ergebnisse könnten die digitale Kindheit auf dem gesamten Kontinent neu gestalten.
Faktencheck: Kinder unter 14 Jahren werden nicht für die Nutzung eines Handys bestraft
Ein TikTok-Video auf Deutsch behauptet, dass Smartphones ab April 2025 per Gesetz für alle Kinder und Jugendlichen unter 14 Jahren verboten werden könnten. Das Video behauptet, dass sie mit einer Geldstrafe von 500 Euro belegt würden, wenn sie in der Öffentlichkeit oder in der Schule beim Benutzen eines Handys erwischt würden.
Das Faktencheck-Team der dpa hat diese Behauptung widerlegt. Das deutsche Justizministerium bestätigte, dass es ein solches Gesetz nicht gibt und dass Kinder unter 14 Jahren in Deutschland ohnehin nicht mit Geldstrafen belegt werden können.
Lesen Sie den Faktencheck hier.
Dieser Artikel ist eine Key Story des enr. Der Inhalt basiert auf der Berichterstattung der teilnehmenden Nachrichtenagenturen.
