Artikel 11 der Grundrechtecharta schreibt die Meinungsfreiheit als ein hohes Gut der Europäischen Union fest. Doch «am 25. August» sei es vorbei damit, behauptet ein Autofahrer in einem viel geteilten Facebook-Reel. Dann trete nämlich der Digital Services Act der EU in Kraft, und damit würden «alle großen Internetplattformen auch inhaltlich zensiert», verkündet der Sprecher mit ernster Miene. Hat der Mann die EU-Verordnung 2022/2065 mit ihren mehr als 90 Artikel wirklich genau gelesen? Und fasst er deren Inhalt in 56 Sekunden richtig zusammen, während er nebenbei ein Auto durch den Verkehr lenkt?

Bewertung

Die Auslegung des Gesetzestextes ist falsch. Alle Bürgerinnen und Bürger dürfen in der EU weiterhin ihre Meinung äußern, auch online. Das EU-Gesetz über digitale Dienste sieht keine Zensur von Internetplattformen wie Facebook, Tiktok, YouTube und Instagram vor.

Fakten

Der Digital Services Act (DSA), auf Deutsch Gesetz über digitale Dienste genannt, soll die Macht der großen Tech-Plattformen eindämmen. Er ersetzt Regeln, die fast 20 Jahre alt und damit überholt sind.

Die EU-Verordnung stärkt nach Angaben der Kommission die Position der Benutzerinnen und Benutzer: Sie sollen künftig erfahren, warum ihnen manche Inhalte und Produkte empfohlen werden. Bestimmte sensible Daten dürfen laut DSA nicht zur Werbung verwendet werden. Vor allem Kinder sollen vor gezielter Werbung (Targeting) besser geschützt werden. Die Plattformen müssen außerdem mögliche Gefahren für die psychische Gesundheit ihrer Nutzer einschätzen.

Schnelleres Vorgehen gegen schon jetzt strafbare Posts

Illegale Inhalte können künftig leichter gemeldet und müssen sorgfältig und zügig verfolgt werden. Bereits jetzt strafbare Posts – Gewaltaufrufe, Terrorpropaganda oder die Verbreitung von Kinderpornografie etwa – sollen rasch entfernt werden können. Die Accounts von Nutzerinnen und Nutzern, die beispielsweise «rechtswidrige Hassrede» verbreiten oder betrügerische Anzeigen verbreiten, können gesperrt werden. Gültig ist jeweils das nationale Recht in dem Land, in dem sich der Nutzer einer Seite befindet.

Auch für die Beaufsichtigung von Plattformen sind jeweils nationale Stellen verantwortlich – also nicht die EU-Kommission. Diese Stellen müssen bis Februar 2024 eingerichtet werden. Die Wirkung dieser Maßnahmen soll in den kommenden Jahren wissenschaftlich untersucht werden. Im Verordnungstext wird an 20 Stellen in verschiedenen Zusammenhängen betont, dass auch der «Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismus» des Gesetzes das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht beeinträchtigen darf.

Gesetz trat 2022 in Kraft und war Thema in den Nachrichten

Das geteilte Video verbreitet noch ein paar weitere Halb- und Unwahrheiten. So behauptet der Sprecher, das EU-Gesetz trete am 25. August (2023) in Kraft. Das ist bei großzügiger Betrachtung nicht komplett falsch. Tatsächlich ist das am 23. April 2022 vom Europäischen Parlament beschlossene Gesetz schon am 16. November 2022 in Kraft getreten. Es gilt aber erst ab 17. Februar 2024 in allen EU-Staaten. Dies geht auch aus dem Text der EU-Verordnung hervor.

Das im Video genannte Datum 25. August (2023) hat eine andere Bedeutung: Genau vier Monate zuvor, am 25. April 2023, benannte die EU-Kommission 17 «sehr große Online-Plattformen» und zwei «sehr große Online-Suchmaschinen», wobei «sehr groß» bedeutet: Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern monatlich. Diese müssen gemäß der Verordnung spätestens vier Monate danach ihren Verpflichtungen aus dem Digitalgesetz nachkommen.

Der Sprecher im Video behauptet über das Gesetz, «weder die Tagesschau noch irgendeine Magazinsendung haben darüber berichtet». Auch diese Behauptung ist nachweislich falsch. Tatsächlich zeigt eine einfache Suche auf der Website der Tagesschau, dass dort wiederholt und mitunter sehr ausführlich über den Inhalt des neuen EU-Gesetzes berichtet wurde.

Links

EU-Grundrechtecharta (archiviert)

Facebook-Reel (archiviert)

Video archiviert

Text der EU-Verordnung (archiviert)

Über das Digitalgesetz (archiviert)

Kommission zur Verordnung (archiviert)

Webseite Tagesschau (archiviert)

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