Flugzeug, Auto, Bus und Schiff – es gibt viele Möglichkeiten, in und durch Europa zu reisen. Aber ein Verkehrsmittel setzt sich mit Volldampf vor allem bei jungen Menschen an die Spitze der Beliebtheitsskala: die Bahn.
Dem statistischen Amt der Europäischen Union, Eurostat, zufolge erreichte der Schienenpersonenverkehr in der EU im Jahr 2023 mit einer Gesamtfahrleistung von 429 Milliarden Kilometern den höchsten Stand seit Jahren.
In ganz Europa ist die Begeisterung für Zugreisen seit Beginn der Covid-19-Pandemie im März 2020 ungebrochen. Im Jahr 2023 stiegen die Passagierzahlen in der Reisezugbranche in der EU um 11,2 Prozent im Vergleich zu 2022 und haben sich seit 2020 fast verdoppelt.
„Der internationale Fernverkehr boomt“, sagte Michael Peterson, Vorstand des Personenfernverkehrs der Deutschen Bahn. Er wies darauf hin, dass 2024 für die Deutsche Bahn das stärkste Jahr in diesem Bereich war, mit einem Wachstum von 22 Prozent im Vergleich zum Vor-Covid-Jahr 2019.
Laut einem im Juni veröffentlichten Bericht der französischen Verkehrsbehörde (ART) hat die Nutzung von Zügen in Frankreich im Jahr 2024 zum dritten Mal in Folge einen Rekord erreicht, was das seit dem Ende der Covid-Pandemie zu beobachtende Wachstum des Schienenverkehrs bestätigt. Im Vergleich zu 2023 gab es im vergangenen Jahr 6 Prozent mehr Fahrgäste, was laut ART ein identischer Anstieg wie im Vorjahr ist.
Auch die Zugnutzung im Sommer verbesserte sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich, was mit den Olympischen Spielen in Paris und auch dem Bahnpass zusammenhängt, mit dem junge Menschen im Alter von 16 bis 27 Jahren für 49 Euro pro Monat unbegrenzt mit Regionalzügen fahren konnten.
Auch andere Länder fördern den Bahnverkehr aktiv durch nationale und regionale Initiativen. So wurden beispielsweise 120 Millionen Euro im Rahmen des spanischen Programms „Verano Joven” (Junger Sommer) für das Jahr 2025 bereitgestellt, um 18- bis 30-Jährigen bis zu 90 Prozent Rabatt auf Mittelstreckenzüge und bis zu 50 Prozent auf Hochgeschwindigkeitszüge zu gewähren.
Auch die EU möchte junge Menschen durch die Initiative DiscoverEU auf die Schiene bringen. Seit dem Start im Jahr 2018 haben sich mehr als 1,6 Millionen Menschen beworben. Bisher wurden 391.000 Reisepässe vergeben.
Was ist DiscoverEU?
DiscoverEU ist eine Initiative im Rahmen des Erasmus+-Programms der Europäischen Union, die 18-jährigen EU-Bürgerinnen und Bürgern oder Personen mit rechtmäßigem Wohnsitz in der EU die Möglichkeit bietet, mit einem sogenannten Travel Pass kostenlos mit der Bahn durch Europa zu reisen.
Es gibt zwei Ausschreibungen pro Jahr, eine im Frühjahr und eine im Herbst. Bewerberinnen und Bewerber müssen für eine Chance auf einen solchen Pass an einem Quiz teilnehmen, wenn sie sich nicht als Teil einer Gruppe anmelden.
Junge Menschen aus Nicht-EU-Staaten wie Island, Liechtenstein, Norwegen, Nordmazedonien und der Türkei können sich aufgrund ihrer Assoziierung mit dem Erasmus+-Programm ebenfalls bewerben.
Zusätzlich zum Travel Pass erhalten die Teilnehmenden auch die DiscoverEU-Jugendkarte, mit der sie in 36 europäischen Ländern Ermäßigungen für öffentliche Verkehrsmittel, Hotels, Verpflegung sowie kulturelle, sportliche und andere Aktivitäten erhalten.
Die nationalen Erasmus+-Agenturen organisieren außerdem Treffen vor, während und nach der Reise. In Bulgarien beispielsweise organisiert die nationale Erasmus+-Agentur Veranstaltungen vor der Abreise und bietet Networking-Möglichkeiten, während die Teilnehmenden dazu ermutigt werden, ihre Reiseerlebnisse und Fotos in den sozialen Medien zu teilen.
Die DiscoverEU-Bewerbung für April 2025 war für Personen möglich, die zwischen dem 1. Juli 2006 und dem 30. Juni 2007 geboren wurden. EU-weit bewarben sich rund 156.516 junge Menschen für die Reisen, von denen 35.753 ausgewählt wurden.
Nach Ländern betrachtet kamen die meisten Bewerbungen von jungen Menschen aus Deutschland (24.194), Spanien (21.414), Polen (15.932) und den Niederlanden (13.106).
Die Länder mit den meisten erfolgreichen Bewerbern waren Deutschland (6.143), Frankreich (4.977), Italien (4.394) und Spanien (3.501).
Andere Länder mit geringeren, aber dennoch bemerkenswerten Zahlen erfolgreicher Bewerber sind Rumänien (1.489), Österreich (715) und Bulgarien (561).
Der österreichische Europaminister lobte die Initiative in der Vergangenheit.
„Es gibt keine bessere Möglichkeit, um Europa zu erleben als mit dem Interrail-Ticket. Mit Projekten wie diesen ist Europa nicht nur ein Fleck auf der Landkarte, sondern wird Teil unserer Identität. Es ist eine tolle Möglichkeit, um andere Leute und Kulturen kennenzulernen und gleichzeitig Botschafter unserer österreichischen Kultur zu sein.“
Claudia Plakolm (ÖVP), Bundesministerin für Europa, Integration und Familie von Österreich
Die österreichischen Europaabgeordneten Andreas Schieder und Hannes Heide (SPÖ) betonten ebenfalls, dass DiscoverEU nachhaltiges Reisen für junge Leute einfacher macht: „Gleichzeitig ist es eine tolle Möglichkeit, Zugreisen als klimafreundliches Fortbewegungsmittel für junge Menschen in der EU attraktiv zu machen. Die Zukunft der europäischen Mobilität liegt auf der Schiene.“
Der für DiscoverEU und Erasmus+ zuständige EU-Kommissar hat junge Menschen dazu aufgerufen, die Initiative zu nutzen.
„Das ist nicht nur eine Reise, sondern eine lebensverändernde Erfahrung. Jeder Bahnhof, jedes Café, jedes neue Gesicht, das Sie kennenlernen, trägt zu Ihrer Geschichte bei. Sie sehen Europa nicht nur, Sie erleben es. An alle jungen Entdecker mit einem Reisepass in der Hand: Ziehen Sie los und machen Sie es [das Reisen] unvergesslich!“
Glenn Micallef, EU-Kommissar für Generationengerechtigkeit, Jugend, Kultur und Sport
Kein integriertes europäisches Schienennetz, aber die DB hat einen Plan
Obwohl die Idee eines vernetzten europäischen Eisenbahnsystems weiter besteht, ist die Realität für Vielreisende eine andere.
Die Probleme beginnen oft schon beim Ticketkauf. Für grenzüberschreitende Reisen sind oft mehrere Fahrkarten erforderlich, die jeweils separat gekauft werden müssen. Das ist nicht nur umständlich, sondern bedeutet auch, dass Fahrgastrechte, wie zum Beispiel Entschädigungen für verpasste Anschlüsse, nicht gelten.
„Die Probleme fangen oft an, wenn eine Zugstrecke an eine Landesgrenze stößt“, sagt Sebastian Wilken, der in seinem Blog Zugpost über internationale Bahnreisen schreibt. Zu diesen Problemen gehören die Stromversorgung, Signal- und Sicherheitssysteme, Unterschiede in der Spurweite und sogar die Sprachkenntnisse der Lokführer.
Die Europäische Union hat die Probleme seit langem erkannt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen findet, dass grenzüberschreitende Bahnreisen für viele Bürgerinnen und Bürger nach wie vor zu kompliziert sind. „Die Menschen sollten offene Buchungssysteme nutzen können, um transeuropäische Reisen bei mehreren Dienstleistern erwerben zu können, ohne ihren Anspruch auf Erstattung oder Ersatzreisen zu verlieren“, erklärte sie in ihren im Juli 2024 veröffentlichten politischen Leitlinien für die Europäische Kommission.
Die Europäische Kommission plant, Rechtsvorschriften für „einheitliche digitale Buchungs- und Ticketdienste“ vorzuschlagen, die sicherstellen sollen, dass „Europäerinnen und Europäer ein einziges Ticket auf einer einzigen Plattform kaufen und ihre Fahrgastrechte für die gesamte Reise wahrnehmen können.“
Die europäischen Eisenbahnen haben sich vor Jahren darauf geeinigt, das Open Sales and Distribution Model (OSDM) als Schnittstellenstandard einzuführen. Peterson von der DB beschrieb es als „die Sprache, in der die europäischen Bahnen und Vertriebsdienstleister dann ihre Daten miteinander austauschen“. Dadurch erhält die DB Zugang zum gesamten Ticketportfolio der teilnehmenden Bahnen und umgekehrt.
Für die DB beginnt der Zugang zunächst im Herbst dieses Jahres, wenn die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) verfügbar sein sollen. Es wird erwartet, dass monatlich neue Partner hinzukommen. „Wir gehen davon aus, dass bis Ende nächsten Jahres Europa nahezu flächendeckend entsprechend angebunden ist“, sagte Peterson.
Dann wird es möglich sein, in einem einzigen Schritt Tickets für ganz Europa zu buchen – ob von Oslo nach Athen oder von Warschau nach Barcelona. Günstigere Tickets über den DB-Konkurrenten Flix werden jedoch nicht über dieses System erhältlich sein.
Dieser Artikel ist eine Key Story des enr. Der Inhalt basiert auf der Berichterstattung der teilnehmenden Nachrichtenagenturen.
