Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, reiste erstmals nach ihrer Wiederwahl in der vergangenen Woche nach Kiew. Sie sicherte der Ukraine vor dem Winter europäische Unterstützung zu. Dazu gehört auch ein Vorschlag für ein 35-Milliarden-Euro-Darlehen sowie zusätzliche finanzielle Unterstützung für die marode Energieinfrastruktur und -versorgung des Landes.
„Mein achter Besuch in Kiew findet zu einem entscheidenden Zeitpunkt statt. In zwei Wochen beginnt die Heizperiode und Russlands unerbittliche Angriffe auf die zivile Energieinfrastruktur der Ukraine zielen darauf ab, maximalen Schaden anzurichten. Wir werden die Ukraine bei ihren mutigen Bemühungen unterstützen, dies zu überwinden“, sagte die Kommissionspräsidentin gegenüber europäischen Medien vor Ort, darunter eine Korrespondentin der portugiesischen Nachrichtenagentur Lusa, die als Pool-Reporterin für den European Newsroom (enr) die Reise begleitete.
Die Kommissionschefin kündigte Pläne Brüssels an, der Ukraine 35 Milliarden Euro zu leihen, die durch die Einnahmen aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten gedeckt sind, und versprach, der Ukraine zu helfen, sich im Winter „warm zu halten“.
Die Ankündigung erfolgte, nachdem sich die Staats- und Regierungschefs der G7 – einer Gruppe großer westlicher Industrienationen, zu der Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, das Vereinigte Königreich, Kanada und die Vereinigten Staaten sowie die EU als „nicht zählendes Mitglied“ gehören – im vergangenen Juni auf ein 50-Milliarden-Dollar-Darlehen zur Unterstützung der ukrainischen Armee und Wirtschaft angesichts der russischen Aggression geeinigt hatten.
Die Internationale Energieagentur (IEA) erklärte, Kiew stehe vor dem dritten Kriegswinter mit Russland vor seiner bisher „härtesten Prüfung“, da Moskau voraussichtlich eine weitere Reihe von Bombenangriffen auf die bereits beschädigte Infrastruktur des Landes starten werde.
Die EU werde der Ukraine zusätzliche 160 Millionen Euro zur Verfügung stellen, um die beschädigte Energieinfrastruktur zu reparieren, erneuerbare Energien auszubauen und Schutzräume zu finanzieren, sagte von der Leyen vor ihrer Reise.
EU hilft bei der Reparatur des maroden Stromnetzes der Ukraine
In einem Bericht der IEA heißt es, dass in den Jahren 2022 und 2023 etwa „die Hälfte der ukrainischen Stromerzeugungskapazitäten entweder von russischen Streitkräften besetzt, zerstört oder beschädigt wurden und etwa die Hälfte der großen Umspannwerke durch Raketen und Drohnen beschädigt wurde“.
Die Europäische Union ist hier, um „Ihnen bei dieser Herausforderung zur Seite steht, damit die Lichter nicht verlöschen, die Menschen nicht frieren, jetzt, wo der Winter vor der Tür steht, und damit die Wirtschaft am Laufen gehalten wird, während Sie ums Überleben kämpfen“, sagte von der Leyen.
Die Unterstützung der EU in Höhe von 160 Millionen Euro zielt darauf ab, die durch russische Bombardierungen beschädigte Infrastruktur zu reparieren und bis zum Winter 2,5 der 10 Gigawatt wiederherzustellen, die die Ukraine seit März durch aufeinanderfolgende russische Angriffe verloren hat. „Das entspricht etwa 15 Prozent des Bedarfs Ihres Landes für diesen Winter“, sagte von der Leyen.
Eine weitere Säule des Plans ist laut von der Leyen, die Stromexporte der EU in die Ukraine zu erhöhen. Bis zu Beginn der Kälteperiode sollen diese Exporte zwei Gigawatt erreichen. „Das entspricht etwa 12 Prozent des Bedarfs Ihres Landes für diesen Winter“, sagte sie.
Nach ukrainischen Angaben können derzeit 1,7 Gigawatt aus der EU und dem südwestlichen Nachbarn Moldau importiert werden. Die ukrainische Regierung hatte zuvor eine Steigerung auf über 2,2 Gigawatt als Ziel angegeben.
„Mit diesen beiden Säulen – Reparatur und Vernetzung – können wir mehr als 25 Prozent des Bedarfs der Ukraine für den Winter decken“, sagte von der Leyen.
Das Hilfspaket für den Energiesektor soll der Ukraine auch dabei helfen, ihre Stromerzeugung zu dezentralisieren – und damit weniger anfällig für russische Raketen und Drohnen zu machen –, indem mobile Gasturbinen und Solarzellen geliefert werden.
Einzelne EU-Mitgliedstaaten haben wiederholt ihre Unterstützung für den ukrainischen Energiesektor betont.
Bei einem Treffen der G7-Außenminister in New York, das sich am Montag auf die Unterstützung des ukrainischen Energiesektors konzentrierte, erinnerte der bulgarische geschäftsführende Außenminister Ivan Kondov an den Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelensky in Bulgarien im Juli 2023. Damals wurde eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Energiebereich zwischen den Energieministerien Bulgariens und der Ukraine unterzeichnet, und es wurden zwei gemeinsame Arbeitsgruppen für Erdgas und Kernenergie eingerichtet.
EU treibt Plan für G7-Kreditanteil voran
Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben die Ukraine nach Angaben der Kommission bisher mit fast 120 Milliarden Euro an Zuschüssen und Darlehen unterstützt. Das Geld wurde zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen der Ukraine, ihrer Wirtschaft und für humanitäre Hilfe verwendet.
Zu dem vorgeschlagenen 35-Milliarden-Euro-Darlehen sagte von der Leyen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Zelensky am Freitag, sie sei zuversichtlich, dass die EU der Ukraine dieses Darlehen “sehr rasch zur Verfügung stellen können, ein Darlehen, für das unerwartete Gewinne aus immobilisierten russischen Vermögenswerten verwendet werden“.
Auf die Frage, ob die Europäische Union vorpresche, weil sie befürchtet, dass andere Partner wie die Vereinigten Staaten hinterherhinken, betonte von der Leyen, dass die EU „ihren Teil“ tut.
„Ich bin absolut zuversichtlich, dass auch die anderen ihren Beitrag leisten werden. Für uns war und ist es wichtig, dass wir schnell sind, denn die Dringlichkeit ist klar, und dieser Schritt gibt uns jetzt die Möglichkeit, die Verfahren abzuschließen“, fügte sie hinzu.
Von der Leyen stellte klar, dass Kiew das Geld nach eigenem Gutdünken ausgeben könne, auch für Waffen. Zelensky sagte, es sei von entscheidender Bedeutung, dass die Ukraine die Mittel zur Unterstützung ihrer Streitkräfte verwenden könne und dass diese Mittel nicht blockiert werden dürften, „da dies Auswirkungen auf unsere Fähigkeit hätte, unser Militär an der Front zu unterstützen“.
Der Plan der Kommission muss noch vom Europäischen Parlament und einer Mehrheit der EU-Länder gebilligt werden. In der Vergangenheit hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der gute Beziehungen zu Russland unterhält, wiederholt die Bemühungen der EU zur Unterstützung der Ukraine behindert.
Die Ukraine hat sich auch bei ihren Verbündeten dafür eingesetzt, dass sie gespendete Waffen einsetzen darf, um „legitime“ militärische Ziele tief im russischen Hoheitsgebiet anzugreifen. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien haben erörtert, der Ukraine genau dies zu gestatten – doch die EU-Staaten sind in dieser Frage weiterhin gespalten.
Am vergangenen Donnerstag nahm das Europäische Parlament eine Entschließung an, in der die EU-Länder aufgefordert werden, Kiew zu gestatten, westliche Waffen für Angriffe auf militärische Ziele innerhalb Russlands zu verwenden.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bestand am Montag darauf, dass er die Regeln für den Einsatz deutscher Waffen im ukrainischen Verteidigungskampf gegen Russland trotz der Bitten aus Kiew nicht lockern werde. Scholz, der sich in den Vereinigten Staaten aufhält, um an der UN-Vollversammlung in New York teilzunehmen, wies darauf hin, dass dazu auch Beschränkungen gehören, die die Ukraine daran hindern, Raketen tief in russisches Territorium abzuschießen.
Zelensky reist diese Woche in die Vereinigten Staaten, um US-Präsident Joe Biden sowie den beiden Hauptkandidaten für seine Nachfolge – Vizepräsidentin Kamala Harris und Ex-Präsident Donald Trump – seine Vorschläge zur Beendigung der mehr als zweieinhalb Jahre andauernden Kämpfe zu unterbreiten.
Zelensky sagte, er wolle im November einen weiteren internationalen Friedensgipfel ausrichten, auf dem er seine Vision zur Beendigung des Krieges darlegen wolle und zu dem auch Russland eingeladen werde.
Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.