Die Europäische Kommission hat ihr neues Konzept für den Agrarsektor vorgestellt. Dieser verschlingt zwar ein Drittel des EU-Haushalts in Form von Subventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), lehnt aber seit langem den liberalen Ansatz in der Handelspolitik Brüssels ab.
Im vergangenen Jahr kam es zu monatelangen Protesten von wütenden Landwirten, die in der belgischen Hauptstadt mit Eiern warfen, Gülle versprühten und mit Traktoren die Straßen blockierten. Sie protestierten gegen Belastungen durch Auflagen, gesunkene Einnahmen und den ihrer Meinung nach unfairen Wettbewerb durch weniger regulierte Konkurrenten aus Übersee.
Die „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“, so der Titel des neuen Konzepts, sei „eine starke Antwort auf diesen Hilferuf“, sagte der für Reformen zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission, Raffaele Fitto, auf einer Pressekonferenz mit Bezug auf die Proteste.
Um sicherzustellen, dass der Agrarsektor keinen Wettbewerbsnachteil erleidet, werde die Kommission „eine stärkere Angleichung der Produktionsstandards für importierte Produkte“ anstreben, heißt es in dem Plan.
Insbesondere will Brüssel dafür sorgen, dass „die gefährlichsten Pestizide, die in der EU aus Gesundheits- und Umweltgründen verboten sind“, nicht „über importierte Produkte“ wieder eingeführt werden dürfen.
Während die Kommission die gesetzlichen Vorschläge vorbereitet, um das harte Durchgreifen gegen Agrarimporte durchzusetzen, untersucht die Brüsseler Behörde, wie die direkten Subventionszahlungen der GAP besser auf die Landwirte umverteilt werden können, die sie „am meisten brauchen“.
Der Schwerpunkt soll bei den GAP-Zahlungen in Zukunft mehr auf Anreizen als auf Bedingungen liegen. Außerdem sollen die Gelder stärker auf Landwirtinnen und Landwirte ausgerichtet werden, die sich aktiv für die Lebensmittelproduktion und den Erhalt der Umwelt einsetzen.
Nach Ansicht der Kommission soll die Produktion von landwirtschaftlichen Gütern und Produkten, die für die strategische Autonomie und Widerstandsfähigkeit der EU wesentlich sind, Vorrang haben.
Die EU-Beamten arbeiten außerdem an einem zweiten Bürokratieabbau-Paket für die derzeitige GAP, um die letzten verbleibenden bürokratischen Belastungen für kleine landwirtschaftliche Betriebe weiter zu reduzieren. Nach den Protesten der Landwirte im vergangenen Jahr hatte es bereits ein erstes solches Paket gegeben.
Zu den Maßnahmen, die die Kommission einführen wird, zählen Pauschalzahlungen und die Aussetzung der Leistungsnachweise. Dabei handelt es sich um ein jährliches Kontrollsystem, das mit der derzeitigen GAP eingeführt wurde. Damit wird überprüft, ob die Zahlungen mit den nationalen Ausgabenplänen übereinstimmen.
Kritik und Lob
Herbert Dorfmann, Abgeordneter des Europäischen Parlaments für die Europäische Volkspartei (EVP), begrüßte die Pläne der Kommission.
„Für uns ist klar: Wir wollen keine neuen Belastungen, sondern Flexibilität und ein solides Einkommen für die Landwirte durch eine starke Gemeinsame Agrarpolitik“, so der EVP-Sprecher für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung in einer Presseerklärung.
Auch der italienische Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida begrüßte in einer Erklärung den Fahrplan als „klaren und radikalen“ Wandel der Kommission.
Von der Förderung lokaler Produzenten bis hin zur Anerkennung der zentralen Rolle der Landwirte: Die in den letzten Jahren behandelten Themen fänden endlich ihren Platz in den neuen Plänen der Kommission, so Lollobrigida.
Der italienische Minister zeigte sich auch erfreut über die wichtige Rolle der Ernährungssouveränität im EU-Agrarplan. Ernährungssouveränität ist das Recht zu bestimmen, wie etwa ein Land seine Lebensmittel auswählt und produziert.
Es ist das erste Mal, dass die EU nicht nur „den Beitrag der landwirtschaftlichen Produktion zur Wirtschaft anerkennt, sondern auch die Nachhaltigkeit der ländlichen Gebiete und ihre Verbindung mit dem kulturellen und natürlichen Erbe eines jeden Ortes“, sagte der griechische Landwirtschaftsminister Konstantinos Tsiaras.
Tsiaras betonte, wie wichtig es sei, zum Schutz der europäischen Landwirte „die Maßnahmen zur Senkung der Produktionskosten und zur Regulierung des Einsatzes von Pestiziden bei der Herstellung von Importprodukten zu verstärken und gegen unlautere Praktiken vorzugehen“.
Die Reaktionen waren jedoch nicht durchgängig positiv, insbesondere bei Umweltschutzorganisationen.
Während die paneuropäische Bauernvereinigung Copa-Cogeca, die nach eigenen Angaben eine nachhaltige, innovative und wettbewerbsfähige Landwirtschaft in der EU sicherstellen will, die Pläne als „ehrgeizig“ bezeichnete, beklagten Umweltgruppen, dass diese zu wenig grüne Verpflichtungen enthielten. Stattdessen versprächen sie eine Deregulierung als Teil eines umfassenderen Vorhabens zur Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Europas, was nach Ansicht von Kritikern den Kampf gegen den Klimawandel untergraben könnte.
Laut Greenpeace tragen die neuen Pläne „wenig dazu bei, die ökologischen, klimatischen und sozioökonomischen Bedrohungen, denen die meisten Landwirte ausgesetzt sind, einzudämmen“.
Das Europäische Umweltbüro (EEB), ein Dachverband von Aktivistinnen und Aktivisten, bezeichnete den endgültigen Text ebenfalls als „zaghaft“ im Vergleich zu einer früheren Version, die im Umlauf war.
Tomáš Prouza vom tschechischen Handels- und Tourismusverband sagte, die Pläne enthielten nicht die notwendigen Reformen für den Agrarsektor. Die Vision der Kommission für die Landwirtschaft sei eine verpasste Gelegenheit, lange aufgeschobene Änderungen für eine Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Sektors durchzusetzen, so Prouza in einer Pressemitteilung.
„Anstelle eines wirklich reformorientierten Materials liegt ein Dokument auf dem Tisch, das vielleicht einige streikende Landwirte beruhigt, aber nichts zur Lösung der Probleme beiträgt, die die Bürger betreffen“, sagte Prouza.
Das Material gehe nicht auf die Gesamtheit der landwirtschaftlichen Probleme ein, von der Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produktion bis hin zur Lebensmittelproduktion, dem Verkauf und dem Konsum, fügte er hinzu.
Seiner Ansicht nach fehlt auch eine deutlichere Betonung der Stärkung des europäischen Binnenmarktes. „Alles, was wir in dem Material sehen, ist eine weitere Zunahme der Barrieren“, fügte er hinzu.
Ursprünge der Vision
Die EU plant seit längerem die Änderungen der Agrarpolitik als Reaktion auf die Proteste der Landwirte. Auf ihrem letzten Treffen im Januar legten die EU-Agrarminister ihre Erwartungen an die Kommission dar – diese solle einen Schwerpunkt auf unfaire Handelspraktiken und die Vereinfachung der GAP-Verordnungen legen.
Der slowakische Landwirtschaftsminister Richard Takáč sagte damals, er habe die EU gedrängt, gegen unfaire Handelspraktiken vorzugehen, und er habe die Unterstützung mehrerer EU-Mitgliedstaaten.
Takáč fügte hinzu, dass multinationale Unternehmen oft unangemessenen Druck auf kleinere Erzeuger ausübten und diese dann gezwungen seien, ihre Produkte unter ihrem Produktionspreis zu verkaufen. Dies sei ein wichtiges Thema für die Landwirtinnen und Landwirte in der EU.
„Wir müssen die Käufer-Lieferanten-Beziehung aus der Perspektive der schwächeren Partei unterstützen. Und das sind Landwirte, lokale Lebensmittelproduzenten, kleinere Erzeuger, nicht multinationale Unternehmen“, sagte er.
Landwirtschaft erhält 30 Prozent des EU-Haushalts
Derzeit erhalten die landwirtschaftlichen Betriebe in der EU rund 30 Prozent des EU-Haushalts.
Dem stehen rund 9 Millionen Beschäftigte gegenüber, die nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat im Jahr 2020 in diesem Sektor arbeiteten.
Dies macht die Agrarsubventionen zu einem der größten Ausgabenposten. Im langfristigen EU-Haushalt von 2021 bis 2027 beläuft er sich auf 387 Milliarden Euro. Zukünftige GAP-Subventionen werden als Teil des nächsten EU-Haushalts von 2028 bis 2034 verhandelt.
Einige wenige Großunternehmen haben unverhältnismäßig stark von den Mitteln profitiert.
Laut EU-Agrarkommissar Christophe Hansen müsse ein „gewisses Gleichgewicht“ hergestellt werden. Es müsse unter anderem darüber diskutiert werden, inwieweit die Größe eines Betriebs eine Rolle spiele.
„Man kann nicht einen Betrieb mit fünf Hektar mit einem Betrieb mit 5.000 Hektar vergleichen“, sagte er bei der Vorstellung des Berichts. Spezifische Ziele oder konkrete Änderungen kündigte er vorerst nicht an.
Hansen will auch mehr für Junglandwirtinnen und -landwirte tun. „Normalerweise ist der Junglandwirt nicht derjenige, der 5.000 Hektar hat“, sagte Hansen. Es müsse mehr Unterstützung geben, vor allem in den ersten Jahren, „weil er oder sie ohnehin vor großen Herausforderungen steht“.
Dieser Artikel wird zweimal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.