Wer gehofft hatte, dass mit dem Zollabkommen zwischen der Europäischen Kommission und den USA das Thema vom Tisch sei und Staaten sowie Unternehmen damit Planungssicherheit hätten, ist eines Besseren belehrt worden.
Die Umsetzung verläuft schleppend. Am Montag trafen US-Handelsminister Howard Lutnick und der Handelsbeauftragte Jamieson Greer erstmals seit Juli mit den EU-Handelsministern zusammen.
Das Abkommen sollte einen Handelskrieg verhindern und sieht einen US-Zollsatz von 15 Prozent für die meisten EU-Exporte vor – doch beide Seiten drängen weiterhin auf mehr Zugeständnisse und weisen auf ungelöste Probleme hin.
Während die EU von den USA eine Senkung der 50-prozentigen Zölle auf Stahl und Aluminium fordert, will Washington, dass Brüssel Regulierungen im Umwelt- und Digitalbereich zurücknimmt, die nach Ansicht der USA amerikanische Unternehmen benachteiligen.
Lutnick verknüpfte die beiden Themen nach dem Treffen ausdrücklich miteinander und forderte die EU auf, ihren Ansatz bei der Technologie-Regulierung zu überdenken, um im Gegenzug eine Einigung über die Senkung der Zölle auf europäische Stahl- und Aluminiumexporte zu erzielen.
Das Abkommen muss vor der weiteren Umsetzung außerdem noch vom Europäischen Parlament angenommen werden.
Die wichtigsten Eckpunkte des Zoll-Deals
Das am 25. Juli zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump vereinbarte Abkommen sollte laut EU „Stabilität und Vorhersehbarkeit“ wiederherstellen.
Die wichtigsten vereinbarten Punkte waren:
- 15 Prozent Zölle für die meisten EU-Exporte, darunter Autos, Halbleiter, Pharmazeutika und Holz;
- Null- oder Nahezu-Null-Zölle für einige wichtige Produktgruppen, darunter nicht verfügbare Rohstoffe, Flugzeuge (und -teile);
- Gemeinsame Bemühungen, die Stahl- und Aluminiumsektoren vor unfairem und verzerrendem Wettbewerb zu schützen;
- Liberalisierung des gegenseitig vorteilhaften Handels, Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse und Zusammenarbeit im Bereich der wirtschaftlichen Sicherheit;
- Die Absicht der EU, Flüssigerdgas, Öl und Kernenergieprodukte aus den USA zu beziehen.
Seit dem Termin im Juli gab es aber eine Reihe von Kurswechseln im Weißen Haus, oft schneller, als europäische Institutionen und Regierungen mithalten können.

Wo hakt der Deal?
Trump hat den Umfang der Stahlzölle ausgeweitet, sodass nun auch Produkte betroffen sind, die im Juli noch nicht zollpflichtig waren. Im August fügte die US-Regierung 407 Produkttypen zu einer Liste von Waren hinzu, die als „Derivate von Stahl und Aluminium“ gelten und daher höheren Zöllen unterliegen.
Es herrscht auch Sorge in Brüssel hinsichtlich weiterer potenzieller Zölle auf kritische Mineralien oder Windturbinen, die das Juli-Abkommen gefährden könnten.
Die EU machte mehrere Zugeständnisse und versprach unter anderem, bis zum Ende von Trumps Amtszeit im Januar 2029 von den US Energie im Wert von 750 Milliarden Dollar zu kaufen, sowie andere bedeutende Investitionen.
Der europäische Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit, Maroš Šefčovič, sagte, die EU sei entschlossen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Er betonte die Fortschritte, die der Block bei der Umsetzung des Abkommens gemacht habe.
Er sagte, die EU habe Energie aus den USA im Wert von 200 Milliarden Dollar gekauft. Der US-Anteil an den Flüssigerdgas-Importen (LNG) der EU sei von 45 auf 60 Prozent gestiegen. Die EU-Investitionen in den USA hätten seit Januar über 150 Milliarden Dollar erreicht.
Der Kommissar wies auch darauf hin, dass Verfahren und demokratische Prozesse in Europa mehr Zeit brauchen als in Washington. Zwei Verordnungen aus dem EU-US-Abkommen über Zölle warten beispielsweise noch auf die Genehmigung durch das Europäische Parlament, das in dieser Frage gespalten ist.
Der tschechische Minister für Industrie und Handel, Lukáš Vlček, sagte bei dem Treffen: „Das Problem der größten Handelsbeziehung der Welt ist möglicherweise nicht die Höhe bestimmter Zoll-Komponenten, sondern die Nicht-Zoll-Komponenten.“ Damit sind alle Handelsbeschränkungen gemeint, die keine Zölle sind, aber dennoch den Waren- und Dienstleistungsverkehr über Grenzen hinweg beeinflussen, wie etwa Vorschriften, unterschiedliche Standards oder Verwaltungsanforderungen.
Digitaler Druck
Ein zentraler Streitpunkt betrifft den Technologiesektor. Die USA fordern, dass die EU ihre digitalen Vorschriften lockert – nur dann wären sie bereit, die 50-prozentigen Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium zu senken.
„Wenn [die Minister] diesen ausgewogenen Ansatz finden können, und ich denke, das können sie, dann werden wir – gemeinsam mit ihnen – die Stahl[- und Aluminium-]Fragen angehen“, sagte Lutnick nach dem Treffen.
Trump hat die digitalen Vorschriften der EU wiederholt kritisiert, insbesondere im Hinblick auf mehrere Verfahren, die die Europäische Kommission gegen US-Konzerne wie Google, Amazon, Apple und Microsoft eingeleitet hat. Besonders umstritten sind der Digital Services Act (DSA) und der Digital Markets Act (DMA).
Im September drohte Trump mit Vergeltungszöllen als Reaktion auf eine von der EU gegen Google verhängte massive Geldstrafe in Höhe von 2,95 Milliarden Euro.
„Die Vereinigten Staaten haben seit vielen Jahren erhebliche Bedenken hinsichtlich des Digital Markets Act und ähnlicher Gesetze in der EU,“ sagte Greer. Er fügte hinzu, oft seien fast ausschließlich US-Unternehmen betroffen, die Durchsetzung sei „manchmal ziemlich aggressiv“ und Geldstrafen würden hoch ausfallen.
Brüssel bestand bislang darauf, es werde anderen Staaten nicht erlauben, die Digitalgesetzgebung der EU zu diktieren – doch die Zölle belasten die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten, und es gibt Anzeichen für interne Spaltungen.
Die deutsche Wirtschaftsministerin Katherina Reiche forderte am Rande des Treffens weniger digitale Vorschriften und eine stärkere Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) in Deutschland. „Deutschland hat klargemacht, dass wir Chancen wollen, in der digitalen Welt mitzuspielen, AI zu implementieren in unsere Industrieprozesse,“ sagte Reiche. „Ohne Implementierung von AI-Modellen wird es keine gute Zukunft geben,“ fügte sie hinzu und erklärte, dass sich die deutsche Regierung für die Lockerung restriktiver Vorschriften auf EU-Ebene einsetze.
Auf die Frage, ob die digitalen Vorschriften der EU eine rote Linie darstellen, wollte sich Šefčovič am Montag nicht äußern.
Er merkte an, dass Lutnick auch Vertreterinnen und Vertreter der Kommission getroffen habe, die für die digitale Agenda zuständig sind. „Wir wollen dem Minister versichern, dass unsere Gesetze nicht diskriminierend sind, sie richten sich nicht gegen amerikanische Unternehmen.“ Er fügte hinzu, dass die Kommission bereit sei, diese Frage zu beantworten, sobald die USA bereit seien, über die Anliegen der EU zu sprechen.

Stahl und Aluminium
EU-Exporteure von Stahl, Aluminium und Produkten, die diese Metalle enthalten, unterliegen in den USA weiterhin einem Zollsatz von 50 Prozent. Eine Reduzierung auf 15 Prozent war ein zentrales Ziel der Europäer, wie der polnische stellvertretende Entwicklungsminister Michał Baranowski vor dem Treffen am Montag erklärte.
Obwohl das Juli-Abkommen und die formelle gemeinsame Erklärung der EU und der USA im August nicht direkt auf Stahl und Aluminium eingehen, sei die Beibehaltung der derzeit hohen Zölle „zumindest teilweise gegen den Geist“ des Abkommens.
„Uns ist bewusst, dass noch viel Arbeit vor uns liegt, insbesondere im Bereich Stahl und Derivate, wo wir versuchen, Zölle zu senken und gemeinsam die globale Überkapazität anzugehen,“ sagte Šefčovič.
Brüssel hofft, mit Washington einen gemeinsamen Nenner zu finden und auch gemeinsam chinesische Überkapazitäten im Stahlsektor zu bekämpfen. Šefčovič drängt seine US-Gesprächspartner, sich auf Importquoten für Stahl zu einigen.
„Das ist ein Thema, das für beide Seiten wichtig ist. Der Weltmarkt ist überflutet mit Stahl- und Aluminiumprodukten sowie deren Derivaten. Es ist ein Problem, das beide Volkswirtschaften belastet,“ sagte Vlček. „Es geht darum, dass wir eine gemeinsame Lösung finden können, denn der eigentliche Handelsgegner hier ist China, nicht die Vereinigten Staaten,“ fügte er hinzu.
„Wir haben nicht nur bilaterale Themen besprochen, sondern auch einige der Herausforderungen, denen wir gemeinsam gegenüberstehen: die Überkapazität (…), Chinas Rolle in der Weltwirtschaft und andere Themen, bei denen wir unsere Kräfte bündeln müssen,“ sagte der dänische Außenminister Lars Løkke Rasmussen, dessen Land derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat.
Im Oktober verdoppelte die EU die Zölle auf ausländischen Stahl, um die heimische Industrie vor einer Flut billiger chinesischer Exporte zu schützen.
Wirtschaftliche Auswirkungen und nationale Interessen
Die Mitgliedstaaten der EU sind von den US-Zöllen unterschiedlich stark betroffen, je nach Gewichtung ihrer Exportsektoren.
Die Kommission bemüht sich weiterhin um eine Ausnahme von Zöllen im Wein- und Spirituosensektor, was auch für Frankreich Priorität hat: Diplomatinnen und Diplomaten sagten, die EU-Staaten stünden kurz davor, eine Liste von Sektoren fertigzustellen, die von Abgaben ausgenommen werden sollen, darunter Wein und Spirituosen – und möglicherweise auch Pasta, die bereits Gegenstand von Spannungen zwischen Rom und Washington ist.
Das US-Handelsministerium wirft italienische Unternehmen in diesem Sektor Dumping vor und verhängte einen Zollsatz von 91,74 Prozent zusätzlich zu den bereits bestehenden 15 Prozent, wodurch die Gesamtabgabe auf das Produkt auf fast 107 Prozent steigt. Der neue „Superzoll“ könnte im Januar 2026 in Kraft treten, und die Branche befürchtet verheerende wirtschaftliche Auswirkungen.
Spanien setzt sich dafür ein, dass mehr Produkte, wie etwa Olivenöl, zollfrei bleiben. Laut Wirtschaftsminister Carlos Cuerpo produziert die USA nur 2 Prozent des Olivenöls, das sie konsumiert. „Daher ist es wichtig, dass sie zollfreien Zugang zu diesem Produkt haben, und es ist auch für unsere Produzierenden von Vorteil,“ sagte er.
Portugal betrachtet das Zollabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA mit gemischten Gefühlen – während es einerseits hilft, eine protektionistische Eskalation zu vermeiden, sieht die Regierung den Freihandel und den Abbau von Zollschranken als Hauptziel. Diese Zölle könnten 2026 einen negativen Einfluss von etwa 0,15 Prozentpunkten auf das portugiesische BIP haben. Das löst Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf die nationale Wirtschaft aus.
Der polnische Premierminister Donald Tusk sagte bereits im Juli, dass sein Land nach vorläufigen Schätzungen durch die 15-Prozent-Zölle etwa 2 Milliarden Euro verlieren könnte.
Das bulgarische Ministerium für Wirtschaft und Industrie schätzte in diesem Herbst die direkten Auswirkungen der Zölle auf 468 Millionen Euro, mit zusätzlichen 158 Millionen Euro als indirekte Konsequenzen. Minister Peter Dilov hob die indirekten Verluste für das Land hervor, da ein erheblicher Teil der bulgarischen Exporte in die EU und den Rest der Welt mit Zwischenprodukten zusammenhängt, die von Handelspartnern in ihren Exporten in die USA verwendet werden.
Im November betonte die Geschäftsführerin des bulgarischen Verbands der Metallindustrie, Politimi Paunova, dass der metallurgische/stahlverarbeitende Sektor exportorientiert sei und die Handelspolitik der EU ihn direkt beeinflusse.
Viel wird nun davon abhängen, wie schnell die EU alle Punkte der gemeinsamen Erklärung dieses Sommers umsetzt. „Es ist wirklich schwierig, zuerst an andere Themen zu denken,“ warnte Greer und schloss vorübergehend die Tür für die von der EU geforderten Ausnahmen (etwa für Pasta, Wein und Käse), wegen denen der Druck einzelner Mitgliedstaaten sehr hoch bleibt.
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