„Europa muss mit am Tisch sitzen,” sagte Kaja Kallas, die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, in einem Interview mit dem European Newsroom. Die ehemalige estnische Ministerpräsidentin unterstrich, dass der Ausgang des Krieges an der östlichen Grenze der EU „sehr stark beeinflussen wird, was in Europa geschieht“. Ihrer Ansicht nach ist eine Einigung ohne die Europäer und Ukrainer nicht möglich.
Zu Beginn der Woche hatte US-Präsident Donald Trump die Möglichkeit erwähnt, dass die Ukraine „eines Tages russisch werden könnte“, und wiederholt, dass er ein Abkommen mit der Ukraine anstrebe, um Zugang zu den seltenen Erden des Landes zu erhalten – als Bedingung für die Fortsetzung der Unterstützung Washingtons für Kiew.
„Die Ukraine ist ein souveräner Staat mit territorialer Integrität, und nach internationalem Recht ist diese stets zu verteidigen. Das ist eindeutig,”
EU-AUSSENBEAUFTRAGTE KAJA KALLAS
Kallas fügte hinzu, dass Russland derzeit keine echte Bereitschaft für eine friedliche Lösung zeige.
Kallas äußerte sich auch zu den Beziehungen der EU zur neuen US-Regierung in Washington und hob die Bedeutung der Stärkung der transatlantischen Partnerschaft sowie Europas Rolle in globalen Sicherheitsfragen hervor. „Es ist wichtig, dass die USA unser engster Verbündeter bleiben,” sagte sie. Die Stärke der EU liege darin, „dass wir der berechenbare und verlässliche Partner sind“.
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 ist Kiew auf finanzielle und militärische Unterstützung westlicher Verbündeter angewiesen. Diese verhängten auch Sanktionen gegen zentrale Teile der russischen Wirtschaft, um Moskaus Fähigkeit zur Finanzierung des Krieges zu schwächen. Der fast drei Jahre dauernde Konflikt hat zur Zerstörung wichtiger Infrastruktur in verschiedenen Regionen der Ukraine sowie zu einer unbestimmten Zahl ziviler und militärischer Opfer geführt.
Am Mittwoch erklärte US-Verteidigungsminister Pete Hegseth in Brüssel, es sei „unrealistisch“, dass die Ukraine ihre Grenzen von vor 2014 wiedererlangen könne. Damals hatte Russland erstmals begonnen, ukrainische Gebiete zu besetzen. Ebenso schätzte er die Aussicht auf einen NATO-Beitritt der Ukraine als gering ein.
Diese Kommentare kamen, nachdem Trump und der russische Präsident Wladimir Putin ein laut Trump „langes und äußerst produktives“ Telefongespräch geführt hatten, in dem sie sich darauf einigten, die Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine „sofort“ aufzunehmen.

Naher Osten: „Menschen dürfen nicht mit Gewalt vertrieben werden“
Kallas betonte, dass die Europäische Union auch an Gesprächen über die Zukunft Gazas teilnehmen müsse, wo derzeit ein Waffenstillstand zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel herrscht. Sie wies Trumps Idee zurück, Gaza in eine „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln und Palästinenser nach Jordanien und Ägypten umzusiedeln. „Menschen dürfen nicht mit Gewalt vertrieben werden, und jede Landnahme wäre illegal,“ argumentierte Kallas. Sie fügte hinzu, dass Gaza „niemals wieder ein Zufluchtsort für Terroristen werden darf“.
Ethnische Säuberungen, die gewaltsame Vertreibung einer Bevölkerungsgruppe aus einem Gebiet, gelten laut den Vereinten Nationen (UN) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und können als Völkermord eingestuft werden.
Auch die Arabische Liga, die aus 22 Staaten besteht, hat Trumps Pläne zurückgewiesen und auf die Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung hingewiesen, die die Schaffung eines palästinensischen Staates in Gaza und dem besetzten Westjordanland neben dem Staat Israel vorsieht.
„Die Europäische Union unterstützt die Zwei-Staaten-Lösung,“ sagte Kallas. „Natürlich machen sich die Israelis Sorgen um ihre Sicherheit, aber ohne die Achtung der Rechte der Palästinenser wird es auch keine Sicherheit für Israel geben,“ fügte sie hinzu und betonte, dass Gaza ein integraler Bestandteil des zukünftigen palästinensischen Staates sei.
USAID-Kürzungen – springt die EU in die Bresche?
Nach Donald Trumps Amtsantritt Im Januar, entschied er, die Mittel für die US-Entwicklungshilfebehörde USAID einzufrieren. Es folgten Forderungen, dass die Europäische Union einspringen solle, um die entstandene Lücke zu schließen.
Auf die Frage, ob die EU die Rolle der USA übernehmen und die Lücke füllen könnte, erklärte Kallas, dass die EU nicht „automatisch mit europäischen Geldern einspringt, weil wir erstens diese Mittel nicht haben und zweitens dies auch eine Gelegenheit für uns ist, unsere geopolitische Macht auszubauen“, sagte sie dem enr.
Kallas kritisierte, dass die EU derzeit viele Organisationen mit erheblichen Mitteln unterstützt, dabei jedoch kaum wahrgenommen werde. Sie betonte, die aktuelle Situation sei eine Chance, die europäische Flagge sichtbarer zu machen und den Menschen zu zeigen, woher die Unterstützung tatsächlich komme. Als Beispiele nannte sie die Palästinensische Autonomiebehörde und das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA).
Laut Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) waren die USA im Jahr 2023 der weltweit größte Einzelgeber öffentlicher Entwicklungshilfe mit fast 65 Milliarden Dollar (62,5 Milliarden Euro).
Die EU und ihre Mitgliedstaaten gaben jedoch im selben Zeitraum gemeinsam fast 96 Milliarden Euro (100 Milliarden Dollar). Deutschland trug laut EU-Daten etwa 34 Milliarden Euro dazu bei.
Dieser Artikel wird zweimal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.