Nach einer Reihe tödlicher Tragödien, die Dutzende von Menschenleben gefordert haben, haben sich die massiven, von Studenten angeführten Proteste gegen die Korruption von Serbien auf die benachbarten Balkanländer ausgeweitet. Tausende demonstrierten unter dem Motto „Korruption tötet“.
Der Einsturz eines Bahnhofsdachs in Serbien, ein verheerender Brand in einem Nachtclub in Nordmazedonien, politische Unruhen in Bosnien und Herzegowina (BiH) sowie in Bulgarien: Die europäische Balkanregion wird von Krisen heimgesucht.
Junge Menschen haben die Kundgebungen genutzt, um ihrer Wut Luft zu machen – in einer Region Europas, die nach Ansicht von Menschenrechtsgruppen unter weitverbreiteter Korruption leidet. Allein in Serbien gingen Hunderttausende auf die Straße, um Veränderungen zu fordern.
Serbien steht im jüngsten globalen Korruptionsindex auf Platz 105 von 180 Ländern – die schlechteste Position seit mehr als einem Jahrzehnt. Nordmazedonien schneidet mit Platz 88 nur geringfügig besser ab, und das EU-Mitglied Bulgarien liegt auf Platz 76.
Die Region hat seit langem mit Korruption, schwacher Rechtsstaatlichkeit und politischer Instabilität zu kämpfen, was einigen Ländern den Weg in die EU erschwert hat, denn für die Europäische Union sind die Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption eine wichtige Priorität.
Nordmazedonien wurde 2005 EU-Beitrittskandidat, gefolgt von Serbien im Jahr 2010. Serbiens Fortschritte sind jedoch in den vergangenen Jahren ins Stocken geraten. Das Haupthindernis ist die angespannte Beziehung zum Kosovo. Bulgarien hingegen trat der EU 2007 bei.
Hier erfahren Sie, was Sie wissen sollten:
Serbien: Einsturz eines Bahnhofsvordachs
Eine Demonstrationswelle, wie sie in Serbien seit den 1990er Jahren nicht mehr zu beobachten war, hatte begonnen, nachdem am 1. November in Novi Sad ein kürzlich renoviertes Bahnhofsgebäude eingestürzt war. Bei dem Einsturz kamen 16 Menschen ums Leben.
In ganz Serbien ist auf Transparenten, Anstecknadeln und Wänden eine blutrote Hand zu sehen, die zum Symbol der Proteste geworden ist. Viele Kritiker machen Korruption und unzureichende Überwachung von Bauprojekten für die Todesfälle verantwortlich, zumal die Sanierungsarbeiten an dem Bahnhof erst kurz vor dem Unglück abgeschlossen worden waren.
An der Massenkundgebung am 15. März in Belgrad nahmen schätzungsweise zwischen 100.000 und 300.000 Menschen teil, die größte Zahl in der Geschichte Serbiens. Die weitgehend friedliche Demonstration wurde jedoch unterbrochen, nachdem ein unbekanntes Geräusch eine kurze Panik ausgelöst hatte. Einige Demonstrierende und Mitglieder der politischen Opposition sagten aus, die Behörden hätten eine Schallwaffe eingesetzt, ein militärisches Gerät, das zur Auflösung von Menschenmengen verwendet wird. Die Regierung bestreitet dies.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić teilte Reportern nach einem Arbeitsessen mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, António Costa, und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am Dienstag in Brüssel mit, dass er die EU-Beamten darüber informiert habe, dass es keine Schallkanone gegeben habe. Serbien sei bereit, diese Behauptung zu überprüfen.
Eine Erklärung der EU-Kommissarin für Erweiterung, Marta Kos, in der sie das Treffen mit Vučić in der vergangenen Woche als konstruktiv bezeichnete, hatten mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen öffentlich verurteilt, sie warfen der EU Heuchelei vor. In einem Interview mit slowenischen Medien am Donnerstag wischte Kos diese Kritik beiseite und sagte, dass es in Serbien derzeit niemanden gebe, mit dem man reden könne, um sicherzustellen, dass das Land auf dem Weg zum EU-Beitritt bleibe.
Die monatelangen Proteste sind die größte Herausforderung für die zwölfjährige Regierungszeit von Vučić. Sie haben bereits zum Rücktritt mehrerer hochrangiger Beamter geführt, darunter Ministerpräsident Miloš Vučević. Mehr als ein Dutzend Personen wurde im Zusammenhang mit der Tragödie angeklagt, darunter der ehemalige Verkehrsminister Goran Vesić, der wenige Tage nach dem Vorfall zurücktrat.
Menschen in der Nachbarschaft Serbiens haben sich den Protesten in Belgrad angeschlossen, zum Beispiel in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Slowenien wartet weiterhin auf eine Erklärung der serbischen Behörden, die einem Nachrichtenteam des slowenischen Fernsehsenders POP TV im Vorfeld der Demonstration am 15. März die Einreise nach Serbien verweigert hatten.

Nordmazedonien: Tödlicher Brand in einem Nachtclub
Das Symbol der Proteste in Serbien – der blutige rote Handabdruck – tauchte auch bei Kundgebungen im benachbarten Nordmazedonien auf, nachdem am 16. März bei einem Brand in einem Nachtclub in Kočani, der mit einer zweifelhaften Lizenz betrieben worden war, 59 Menschen getötet und fast 200 verletzt wurden.
Kočani ist eine Stadt mit 30.000 Einwohnern, so dass der Tod von 59 Menschen – die meisten von ihnen Jugendliche und junge Erwachsene – fast jeden Haushalt betraf. Der Vorfall war der schlimmste Verlust an Menschenleben in dem Balkanland seit 1993, als sich zwei tödliche Flugzeugabstürze ereigneten.
Der Brand wurde mit einem Bühnenfeuerwerk in Verbindung gebracht, das einen Ansturm auf den Ausgang auslöste. Die Staatsanwaltschaft erklärte, der Club habe gegen zahlreiche Brandschutzvorschriften verstoßen wie eine unzureichende Ausstattung mit Feuerlöschern und Notausgängen.
34 Personen, darunter hochrangige Beamte, werden verdächtigt, gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen zu haben. Am Sonntag ordnete ein Gericht in Kočani für 24 Verdächtige eine 30-tägige Haftstrafe an. Unter den Festgenommenen befinden sich auch drei ehemalige Bürgermeister von Kočani, von denen der letzte einen Tag nach dem tragischen Ereignis zurücktrat.
Der größte öffentliche Protest nach dem Vorfall wurde am 24. März organisiert, als Tausende von Demonstrierenden in der Hauptstadt Skopje unter dem Motto „Das System ist dran“ auf die Straße gingen.
„Dies ist kein Kampf zwischen euch und uns, kein Kampf zwischen politischen Parteien, sondern ein Kampf zwischen den Ehrlichen und den Korrupten. Wir wollen einen Systemwandel – aber einen sinnvollen Wandel, keinen kosmetischen. Und während sie sich die Taschen füllen, werden wir die Straßen füllen, und das werden wir so lange tun, bis wir einen echten Wandel sehen.“
Erklärung der Bürgerbewegung “Wer ist der Nächste?”
Als Zeichen der Solidarität hielten in Bulgarien Menschen, die in der vergangenen Woche gegen Bestechung demonstrierten, eine Schweigeminute zum Gedenken an den Kočani-Vorfall ab.
Auch im benachbarten Griechenland gab es Proteste nach dem Brand von Kočani. Dutzende von Menschen standen am Wochenende auf dem Platz in der Innenstadt von Thessaloniki in Nordgriechenland eine Stunde lang still.
In Rumänien ereignete sich 2015 ein ähnliches Feuer im “Colectiv Club” in Bukarest. Mit 64 Toten und 163 Verletzten war dies eine der größten Tragödien des Landes in den vergangenen 50 Jahren. Nach massiven Protesten, die ebenfalls unter dem Motto „Korruption tötet“ standen, trat der damalige Ministerpräsident Victor Ponta zurück.
Bulgarien: Oligarchen und Tierquäler
In Bulgarien sind die Demonstrierenden zuletzt aus verschiedenen Gründen auf die Straße gegangen. Die bei weitem größten Proteste galten der Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung von Tierquälerei. Aber auch Medienschaffende und Beschäftigte des Gesundheitswesens demonstrierten für höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen.
Rechtsstaatlichkeit: Am 19. März versammelten sich Bürgerinnen und Bürger vor dem Justizpalast in der Hauptstadt Sofia, um unter dem Motto „Peevski raus aus der Macht“ für Rechtsstaatlichkeit zu demonstrieren. Delyan Peevski gilt als mächtiger Oligarch in Bulgarien und ist Vorsitzender der Partei MRF-Neuanfang. Obwohl er nicht Teil der Regierungskoalition ist, wird ihm weithin ein großer Einfluss auf die Entscheidungsfindung zugeschrieben. Die Demonstrierenden erklärten, die Bulgaren hätten Peevski nicht gewählt, um das Land zu regieren.
Peevski wurde von den USA im Rahmen des Global Magnitsky Act im Jahr 2021 als Oligarch eingestuft, der regelmäßig Einflussnahme und Korruption betrieben habe, um seine Interessen durchzusetzen.
Tierquälerei: Am 23. März fanden in mehreren bulgarischen Großstädten Proteste gegen Tierquälerei und -missbrauch statt. Auslöser war der Fall zweier Personen, die angeklagt wurden, weil sie gegen Geld Videos von Tiermisshandlungen gefilmt hatten. Die Demonstrierenden forderten harte Strafen für Tierquälerei, die tatsächliche Durchsetzung von Strafen und ein hartes Vorgehen gegen Online-Plattformen, die tierquälerische Inhalte verbreiten.

Bosnien-Herzegowina: katastrophale Überschwemmungen und Dodik auf freiem Fuß
Im Oktober 2024 wurde Bosnien-Herzegowina von schweren Regenfällen heimgesucht, die zu Überschwemmungen und Erdrutschen führten, die Häuser und Menschen unter sich begruben. Die Tragödie hat in Bosnien und Herzegowina Fragen aufgeworfen zu Korruption und institutioneller Verantwortungslosigkeit. Die Notwendigkeit von Transparenz und Effizienz bei der Verwaltung der natürlichen Ressourcen und dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger ist dadurch deutlich geworden.
Zugleich nimmt die politische Instabilität in Bosnien-Herzegowina aufgrund von rechtlichen und politischen Krisen weiter zu. Blockaden bei der Verabschiedung wichtiger Reformgesetze, Konflikte zwischen politischen Führern und ein Mangel an Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene behindern das Funktionieren der Institutionen und den europäischen Weg des Landes erheblich. Dies betrifft insbesondere den Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, der seit Jahren mit einer Abspaltung dieser Entität von Bosnien-Herzegowina droht und behauptet, das Land habe keine Zukunft.
Die heutige Organisation von Bosnien-Herzegowina wurde mit dem Friedensabkommen von Dayton im Jahr 1995 vereinbart. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Friedensabkommens ist die Verfassung, auf deren Grundlage Bosnien-Herzegowina funktioniert. Laut dieser Verfassung ist Bosnien-Herzegowina in zwei Entitäten unterteilt: die Republika Srpska (RS), die 49 Prozent des Territoriums ausmacht und mehrheitlich von Serben bewohnt wird, und die Föderation von Bosnien und Herzegowina (FBiH), die früher als bosniakisch-kroatische Föderation bezeichnet wurde, da ihre Bevölkerung hauptsächlich aus Bosniaken (bosnischen Muslimen) und Kroaten besteht.
Das Gericht von Bosnien-Herzegowina verurteilte Dodik im Februar zu einem Jahr Gefängnis und einem sechsjährigen Verbot der politischen Betätigung, weil er die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten, Christian Schmidt, missachtet hatte. Der Hohe Repräsentant überwacht die Umsetzung des Friedensabkommens. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Haftbefehl gegen Dodik erlassen, nachdem er einer Vorladung zur Vernehmung wegen Untergrabung der verfassungsmäßigen Ordnung nicht nachgekommen war.
Dodik verließ jedoch kürzlich Bosnien-Herzegowina und nahm an Veranstaltungen in Serbien und Israel teil. Das hatte eine Untersuchung dahingehend ausgelöst, wie es sein konnte, dass er die Grenze trotz bestehenden Haftbefehls überquert hatte. Diese Entwicklungen haben die Spannungen in Bosnien-Herzegowina weiter verschärft, während die internationale Gemeinschaft vor schwerwiegenden Folgen für die regionale Stabilität warnt.
Inzwischen bedrohen auch politische Blockaden in den Institutionen von Bosnien-Herzegowina eine mögliche Zukunft des Landes in der EU. Die Nationalversammlung der Republika Srpska hat einen Beschluss gefasst, der die Arbeit der staatlichen Institutionen, einschließlich der Verabschiedung der für die EU-Integration erforderlichen Reformgesetze, behindern soll.
Dieser Artikel wird zweimal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.