Wer hätte gedacht, dass die EU-Durchführungsverordnung 2023/5 ein solches Echo in den Sozialen Netzwerken auslösen würde? Unzählige Nutzerinnen und Nutzer in Europa diskutierten plötzlich, was anderswo seit Jahrtausenden als völlig normal gilt: der Verzehr von Insekten. Die EU hat nämlich erlaubt, dass auch Hausgrillen und Larven des Getreideschimmelkäfers auf den Teller kommen dürfen. Kann es dabei tatsächlich passieren, dass man – ohne es zu wissen – Insekten isst? Diese These verbreitet sich jedenfalls im Netz und wird sogar vom bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) aufgestellt.
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Die Behauptung, Hausgrillenpulver oder Käferlarven könnten im Essen versteckt sein, ist falsch. Sind Insekten im Lebensmittel enthalten, muss das auf der Zutatenliste verzeichnet sein. Außerdem gibt es Allergiehinweise.
Fakten
Die EU-Durchführungsverordnung 2023/5 sieht vor, dass vom 24. Januar 2023 an das vietnamesische Unternehmen Cricket One ein teilweise entfettetes Pulver aus der Hausgrille (Acheta domesticus) in der EU vertreiben darf. Dazu wurde das auch als Heimchen bekannte Insekt in die Liste der neuartigen Lebensmittel aufgenommen. Seit dem 26. Januar gilt das auch für Larven des Getreideschimmelkäfers (Alphitobius diaperinus). Ähnliche Regeln gibt es in der EU schon länger für Wanderheuschrecken und Larven des Mehlkäfers (Tenebrio molitor, gelber Mehlwurm).
Das Pulver der Hausgrillen darf nun unter anderem in Brot und Brötchen, Keksen und Crackern, Backmischungen und Teigwaren, Soßen und Suppen, Fleisch- und Milchersatz, Kartoffelerzeugnissen oder Schokolade vorkommen.
Europäische Verbraucher schwanken zwischen Neugier und Ekel. Manche glauben, das in Insekten enthaltene Chitin könnte giftig sein. Das haben dpa-Faktencheck in französischer und niederländischer Sprache inzwischen aber widerlegt.
Dass man Insekten isst, ohne es zu wissen, kann aber nicht passieren – wenn man aufmerksam ist. Denn wenn Insekten in den Produkten enthalten sind, muss das gekennzeichnet sein. «Uns ist nicht bekannt, dass es irgendwie untergemischt wird», sagt etwa der Lebensmittelchemiker Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Auch die EU-Kommission stellt klar: «Jede und jeder kann selbst entscheiden, ob er oder sie Lebensmittel aus oder mit Insekten kauft oder nicht.» Den Verordnungen (hier und hier) zufolge muss in der Zutatenliste mindestens eine der folgenden Angaben stehen:
- «Acheta domesticus (Hausgrille, Heimchen), gefroren»
- «Acheta domesticus (Hausgrille, Heimchen), getrocknet/pulverförmig»
- «Gefrorene Larven/Paste aus Larven von Alphitobius diaperinus (Getreideschimmelkäfer)» oder
- «Getrocknete Larven/Pulver aus Larven von Alphitobius diaperinus (Getreideschimmelkäfer)»
Verbraucherschützer Valet fordert hingegen eine deutliche Kennzeichnung auf der Verpackung «und zwar gut verständlich für alle, zum Beispiel „Kekse mit Insekten“ oder „Nudeln mit Insekten“».
Bisher sei das Angebot solcher Lebensmitteln «wirklich ein ganz, ganz kleiner Nischenmarkt», erklärt Valet. Hierzulande sind aktuell nur wenige Produkte mit geringen Mengen an Insekten erhältlich – etwa Riegel oder Nudeln. Dass Insektenpulver in Kekse oder Mehl gemischt werde, liege «wirklich noch in weiter Ferne», sagt Valet. Einen kommerziellen Anreiz für Unternehmen sieht er zudem bislang auch nicht, da Produkte mit Insektenmehl zum Teil deutlich teurer sind.
Auch Allergiker-Hinweise müssen in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste verzeichnet sein. Die EU-Verordnungen schreiben einen Hinweis vor, wonach zum Beispiel Hausgrillen «bei Verbrauchern mit bekannten Allergien gegen Krebs- oder Weichtiere und ihre Erzeugnisse sowie gegen Hausstaubmilben allergische Reaktionen hervorrufen» können. Wie viele andere Lebensmittel könnte auch Insektenpulver in seltenen Fällen Reaktionen auslösen.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kommt nach Auswertung diverser Studien zu dem Schluss: Hausgrillen-Pulver ist in den vorgeschlagenen Mengen sicher.
Wenn Produkte Insekten enthalten, dürfen sie nicht als vegan oder vegetarisch verkauft werden. Dem EU-Recht zufolge fallen Insekten unter die Kategorie «Lebensmittel, die aus Tieren oder deren Teilen bestehen oder daraus isoliert oder erzeugt wurden». Entsprechend müssen sie auch gekennzeichnet sein.
Niemand muss befürchten, dass wild gesammelte Tierchen in den Produkten landen. Speiseinsekten, die im deutschen Lebensmittelhandel angeboten werden, stammen nach Angaben des Verbraucherzentrale Bundesverbandes ausschließlich aus kontrollierter Aufzucht.
Weltweit werden mehr als 1900 Arten verzehrt. In verschiedenen Studien hat die Welternährungsorganisation (FAO) festgestellt, dass sie eine sehr nahrhafte und gesunde Nahrungsquelle mit einem hohen Gehalt an Fett, Eiweiß, Vitaminen, Ballaststoffen und Mineralien sind. Den deutschen Verbraucherzentralen zufolge ist ihr Proteingehalt ähnlich hoch wie bei Fleisch von Rind, Schwein oder Pute, variiert aber je nach Art des Insekts.
Bei der Ökobilanz schneiden Insekten nach Angaben von FAO und Umweltorganisation WWF deutlich besser ab als Rind, Schwein und Huhn.
Links
EU-Durchführungsverordnung 2023/5 zu Hausgrillen (archiviert)
EU-Durchführungsverordnung 2023/58 zu Getreideschimmelkäfern (archiviert)
EU-Kommission Twitter-Thread über Insekten in Lebensmitteln (archiviert)
EU-Kommission über Insekten als tierische Produkte (archiviert)
EFSA-Gutachten über Hausgrille vom Mai 2022 (archiviert)
dpa-Faktencheck auf Französisch
dpa-Faktencheck auf Niederländisch
Verbraucherzentrale Bundesverband über Insekten-Lebensmittel (archiviert)
FAO über Insekten-Lebensmittel (archiviert)
WWF über Insekten-Lebensmittel (archiviert)
Aiwanger-Tweet über Insekten in Lebensmitteln (archiviert)
Facebook-Post mit Falschbehauptung über Insekten in Lebensmitteln (archiviert)
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