Brüssel – Nachdem Polen, Ungarn und die Slowakei angekündigt haben, ukrainisches Getreide weiter vom eigenen Markt verbannen zu wollen, müsse die EU-Kommission nun dafür sorgen, dass der Binnenmarkt funktioniere. Das sagte Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) am Montag im Vorfeld eines Agrarministertreffens in Brüssel. Totschnig betonte die Solidarität mit der Ukraine, zeigte aber auch Verständnis für die Anrainerstaaten.
„Wir haben gesehen, zu welchen Verwerfungen es da gekommen ist“. Die fünf EU-Nachbarstaaten der Ukraine – Polen, Ungarn, Slowakei, Rumänien und Bulgarien – hatten zuletzt über stark gesunkene Getreidepreise wegen ukrainischer Importe geklagt. Dass die Kommission und die betroffenen Ländern hier anderer Auffassung seien, ist für Totschnig ein Grund mehr, dass sich beide Seiten zu Gesprächen finden müssten. Eigene unilateralen Maßnahmen für Österreich schloss er aus. Die Infrastruktur müsse dahingehend ausgebaut werden, dass das Getreide aus der Ukraine besser dort ankommt, wo es gebraucht werde – sprich in Ländern des nahen Ostens und Afrikas, so Totschnig.
Die Ukraine selbst will die drei Nachbarstaaten Polen, Ungarn und die Slowakei wegen der Blockade vor der Welthandelsorganisation verklagen, wie der ukrainische Handelsbeauftragte Taras Kachka am Montag im Interview mit dem Magazin „Politico“ ankündigte.
Die EU-Kommission hat am vergangenen Freitag die Sondererlaubnis für die umstrittenen Handelseinschränkungen auf ukrainische Getreideprodukte beendet und den Schritt auch damit begründet, dass keine Marktverzerrung in den betroffenen Staaten mehr zu beobachten sei. Die Ukraine muss zudem bis spätestens heute, Montag, einen Plan vorlegen, mit dem Marktverwerfungen in den Nachbarländern verhindert werden sollen. Rumänien will diesen Plan abwarten, bevor es über eigene Maßnahmen nachdenke, hatte die Regierung in Bukarest am Freitag mitgeteilt.
Rückblickend auf die Rede zur Lage der Union von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche begrüßte Totschnig, dass sie die Bedeutung der Landwirtschaft hervorgestrichen habe. Der Agrarminister nutzte die Gelegenheit und lobte den Kommissionsvorschlag, den Schutzstatus des Wolfes in Europas neu zu evaluieren. „Aus unserer Sicht hat die Wolfspopulation eine Stärke erreicht, sodass dieser strenge Schutz hinterfragt werden muss.“ Er gehe davon aus, dass alle „betroffenen Gruppen“ aus Österreich bis zum 22. September eine Stellungnahme bei der Kommission einreichen werden. Totschnig nannte hier unter anderen die Jägerschaft, die Almwirtschaft, die Landwirtschaftskammer und Tourismusvertreter. (18.09.2023)
Rumänien droht mit Klage gegen Österreich bei erneutem Schengen-Veto
Brüssel/Bukarest – Rumänien hat mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht, sollte Österreich sein Veto gegen den Schengen-Beitritt des Landes aufrechterhalten. Das sagte der rumänische Regierungschef Marcel Ciolacu im Gespräch mit dem „Standard“ (Freitag).
Falls Österreich erneut sein Veto gegen die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum einlegt, sobald das Thema wieder auf die Tagesordnung kommt, will Bukarest Klage einbringen. „Kategorisch, ja“, sagte Ciolacu auf eine entsprechende Rückfrage der Zeitung. Der Regierungschef schätzt den Schaden, der Rumänien durch den Nicht-Beitritt zum grenzkontrollfreien Raum entstanden ist, auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Ciolacu forderte weiters ein komplettes Verbot des Imports von russischem Gas innerhalb der EU: „Denn es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen dem, was wir verlieren, nämlich ein bisschen Komfort, und dem, was in der Ukraine vor sich geht.“ Der jüngsten umstrittenen Aussage des EU-Kommissionsvertreters Martin Selmayr, wonach Österreich mit dem Gasimport „Blutgeld“ an Moskau zahle, stimmte der Premier zu: „Das stimmt, was Herr Selmayr sagt.“
Die rumänischen EU-Parlamentarier Eugen Tomac und Vlad Botoș hatten zuvor die Europäische Kommission in einem Brief an den für die EU-Sanktionen gegen Russland zuständigen Beauftragten David O’Sullivan aufgefordert, eine Untersuchung zur Einhaltung der Sanktionen durch Österreich einzuleiten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte am Mittwoch einen Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien „ohne weiteren Verzug“ gefordert. Beide Länder hätten bewiesen, dass sie die nötigen Bedingungen erfüllen, sagte sie bei ihrer Rede zur Lage der Union in Straßburg. Ihre Aufforderung dürfte sich vorrangig an Österreich richten, das den Beitritt der beiden Länder weiterhin blockiert. Namentlich nannte von der Leyen Österreich aber nicht.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) reagierte zurückhaltend auf von der Leyen: Der Kampf gegen irreguläre Migration und Schlepper müsse eine Priorität der Kommission sein. Ihm zufolge steigen aktuell die Migrationszahlen in Europa: „Zu so einem Zeitpunkt macht es für mich daher keinen Sinn, über eine Erweiterung des Schengenraums zu sprechen. Wir brauchen mehr und nicht weniger Kontrollen.“
„Bloße Kritik an Österreich reicht nicht mehr aus. Die Politik Wiens wirft einen Schatten auf die Fähigkeit der EU, mit Konflikten und Krisen koordiniert umzugehen. Die mangelnde Solidarität Österreichs mit der europäischen Sache zeugt von der Loyalität seiner politischen Entscheidungsträger und Unternehmen“, heißt es in dem Brief der beiden rumänischen Abgeordneten mit deutlichen Worten. Sie hegten den Verdacht einer möglichen Verletzung der Russland-Sanktionen durch Wien, schrieb Eugen Tomac am Donnerstag auf Facebook.
Kritik an den Aussagen der beiden rumänischen Abgeordneten bezüglich der Verletzung der Russland Sanktionen kam von der ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, Angelika Winzig: „Die Aussagen sind weit weg von objektiver Kritik und aufs Schärfste zurückzuweisen“, hieß es in einer Aussendung. „Allen voran müssen wir einen starken Außengrenzschutz forcieren und einen effektiven europäischen Asyl- und Migrationspakt im Sinne aller Mitgliedstaaten umsetzen. Dann können wir auch über eine Erweiterung des Schengenraums nachdenken.“ Gleichzeitig versicherte sie: „Das Veto richtet sich nicht gegen die rumänische Bevölkerung.“
Ein weiterer rumänischer Europaabgeordneter, Ex-Premier und Ex-EU-Agrarkommissar Dacian Cioloș, rief Staatspräsident Klaus Johannis, Regierungschef Ciolacu sowie Senatspräsident Nicolae Ciuca hinsichtlich des Schengen-Vetos in einem anderen Schreiben zum umgehenden Haltungswechsel Bukarests auf EU-Ratsebene auf: Rumänien habe sich ab sofort „ebenso unnachgiebig wie Österreich“ zu verhalten und mit Ausnahme weiterer Unterstützung für die Ukraine alle EU-Beschlüsse, die Einstimmigkeit verlange, so lange zu blockieren, bis der Rat für Justiz und Inneres endlich Grünes Licht für den Schengen-Beitritt des Landes gebe.
Während Rumänien die technischen Bedingungen für den Schengen-Beitritt längst erfüllt habe, sei Österreichs Schengen-Blockade „ebenso ungerechtfertigt wie unrechtmäßig“. Seit Dezember hätten die rumänischen Behörden alles getan, um die unbegründeten Bedenken der österreichischen Bundesregierung zu zerstreuen – jedoch vergeblich, was einmal mehr unter Beweis stelle, dass das Veto Wiens „ausschließlich politisch motiviert“ sei und Österreich „das gute Funktionieren der Europäischen Union insgesamt“ beeinträchtige, schrieb Cioloș.
Seinerseits warf der rumänische Europaabgeordnete Rares Bogdan den EU-Behörden Unfähigkeit vor: Weder Kommission noch Rat seien offenbar fähig, „Kanzler (Karl) Nehammer davon abzuhalten, einen EU-Staat und dessen 25 Millionen Bürgerinnen und Bürger zu erniedrigen“, sagte Bogdan am gestrigen Mittwoch im Straßburger Parlament nach der Rede zur Lage der Union von EU-Kommissionschefin von der Leyen. Jedoch erniedrige der österreichische Bundeskanzler „nicht bloß Rumänien und die Rumänen, sondern das europäische System insgesamt“ – beginnend mit dem Rat „bis hin zu dir, liebe Ursula“, so der Europaabgeordnete. (14.09.2023)
Österreichs Finanzminister Brunner gegen Aufstockung von EU-Budget
Brüssel/Santiago de Compostela – Im Zentrum des informellen Treffens der EU-Wirtschafts- und Finanzministerinnen und -minister (ECOFIN) im spanischen Santiago de Compostela am Freitag und Samstag stehen offiziell die Förderung der strategischen Autonomie und die Stärkung der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, insbesondere mit Lateinamerika. Die Vorschläge der EU-Kommission für eine Aufstockung des EU-Budgets und eine Reform des EU-Stabilitätspakts dürfte zudem fnür Gesprächsstoff gesorgt haben.
„Bei allem Verständnis für die Vorhaben der Europäische Kommission und den finanziellen Bedarf, welcher durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ausgelöst wurde: Zuerst sollten die bestehenden Möglichkeiten und mögliche Umschichtungen ausgenützt werden, bevor Mitgliedsstaaten zusätzliche Beträge leisten. Österreich kann einer Aufstockung der Mittel nicht zustimmen, solange bestehende Mittel ungenutzt liegen bleiben“, betonte Österreichs Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) im Vorfeld des Treffens gegenüber der APA. Brunner wurde in Santiago de Compostela aus terminlichen Gründen von Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP) vertreten.
„Es muss sichergestellt sein, dass die Schulden sinken und alle Mitgliedstaaten nachhaltig haushalten. Kurzfristige Flexibilität bedingt mittel- und langfristige Stärkung der Budgetnachhaltigkeit. Es braucht eine stärkere Durchsetzung der Regeln, damit diese auch angewendet und eingehalten werden“, fordert Brunner zur Reform der Fiskalregeln. Er liegt mit seinen Forderungen nach strengeren Regeln auf einer Linie mit Deutschlands Finanzminister Christian Lindner.
Die Europäische Kommission hat im April hingegen mehr Flexibilität bei der Einhaltung des EU-Stabilitätspakts vorgeschlagen. Die EU-Regelungen zum Schuldenabbau waren in den vergangenen Jahren aufgrund der Auswirkungen der Pandemie und des Ukraine-Krieges vorübergehend gelockert worden. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hatte Anfang der Woche in Brüssel bekräftigt, die seit 2020 andauernde Aussetzung nicht erneut verlängern zu wollen: „Unsere Aufgabe ist jetzt, bis Ende des Jahres eine Einigung zu den Fiskalregeln zu finden.“
„Der aktuelle Vorschlag enthält einige Elemente, die in die richtige Richtung gehen, wie das Defizitverfahren oder die Beibehaltung der Maastricht-Kriterien. Gleichzeitig besteht zu einigen Punkten noch Diskussionsbedarf, wie etwa beim Pfad zum Schuldenabbau und zur Gefahr, dass die Lockerung der Maastricht-Kriterien über die Hintertür ermöglicht wird“, so Brunner weiter. (14.09.2023)
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