In Brüssel ist in dieser Woche ein heftiger politischer Streit ausgebrochen, der die koalierenden Fraktionen der Mitte im Europäischen Parlament gegeneinander aufgebracht hat. Anlass waren Pläne der Europäischen Kommission, die neue Gesetzgebung gegen Greenwashing wieder zurückzuziehen.
Dies ist nach dem Rechtsruck in der politischen Landschaft bei den Europawahlen im vergangenen Jahr ein weiterer Rückschlag für den Europäischen Green Deal.
Was ist in der letzten Woche passiert?
Stein des Anstoßes ist die Green Claims Directive, eine neue Regelung, die Unternehmen dazu verpflichten würde, die Umweltfreundlichkeit ihrer Produkte unabhängig zu überprüfen. Die Richtlinie befand sich in der finalen Verhandlungsphase, als die Europäische Volkspartei (EVP) vergangene Woche in einem Brief die Europäische Kommission aufforderte, die Richtlinie zurückzuziehen. Die EVP fand, dass diese unnötige bürokratische Belastungen für Unternehmen mit sich bringe.
Am letzten Freitag erklärte der Kommissionssprecher für Umweltfragen, Maciej Berestecki, dass die EU-Exekutive genau das tun werde, weil die „aktuellen Diskussionen rund um den Vorschlag“ im Widerspruch zur „Agenda der Vereinfachung“ stünden. Derzeit würden 30 Millionen Kleinstunternehmen – das sind 96 Prozent aller Firmen – von der Richtlinie betroffen sein, was der Kommission nicht gefalle, so Berestecki. Als Kleinstunternehmen gelten Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz oder einer Bilanzsumme unter 2 Millionen Euro.
Die zu EVP gehörende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte versprochen, das Leben für Unternehmen leichter zu machen, um die europäische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Obwohl die Entscheidung noch nicht formalisiert wurde, sagte die polnische EU-Ratspräsidentschaft nach der Ankündigung das für Montag geplante Trilog-Treffen ab, bei dem Parlament, Rat und Kommission die Richtlinie abschließend verhandeln sollten.
„Es gibt zu viele Zweifel, und wir brauchen Klarheit von der Europäischen Kommission über ihre Absichten. Auf dieser Grundlage können wir die nächsten Schritte entscheiden,“ hieß es.
Als Folge dieser Entwicklung zog Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Wochenende ihre Unterstützung für die Richtlinie zurück, wodurch die Mehrheit dafür im Rat verloren ging.
Die Ereignisse verärgerten Politikerinnen und Politiker der Fraktionen Renew Europe sowie der Sozialisten und Demokraten (S&D), die zusammen mit der EVP eine Kooperationsvereinbarung im Europäischen Parlament haben.
Der deutsche S&D-Abgeordnete und parlamentarische Mitberichterstatter für die Richtlinie, Tiemo Wölken, sagte, man müsse das Kind beim Namen nennen und dass das “ein koordinierter Angriff der Kommission und der EVP auf grüne Gesetzgebung“ sei. Er fügte hinzu: „Ursula von der Leyen als Kommissionschefin verrät ihr Mandat und macht die Kommission zur Zentrale der EVP. Das ist ein institutioneller Skandal.“
Er denke, ein Kompromiss wäre bei Fortsetzung der Verhandlungen möglich gewesen und auch, dass sichergestellt werden könne, Kleinstunternehmen von der Richtlinie auszunehmen.
„Wenn es Bedarf gibt, spezifische Themen zu diskutieren, ist der beste Weg, zum Treffen zu gehen und dort zu diskutieren, nicht das Treffen abzusagen,“ sagte der italienische Renew-Abgeordnete und weitere Mitberichterstatter der Richtlinie, Sandro Gozi.
Was ist die Green Claims Directive?
Das Hauptziel der nun umstrittenen Gesetzgebung ist es, Verbraucherinnen und Verbraucher davor zu schützen, durch irreführende Angaben über die Umweltfreundlichkeit von Produkten getäuscht zu werden (eine Praxis, die auch als Greenwashing bekannt ist). Unternehmen müssten freiwillige Umweltversprechen zu ihren Produkten unabhängig belegen.
Laut einer Studie der Kommission aus dem Jahr 2020 waren mehr als die Hälfte der Informationen über die Umweltfreundlichkeit von Produkten vage, irreführend oder unbegründet.
In dem erstmals 2023 vorgelegten Vorschlag hieß es: „Wenn ein Unternehmen beispielsweise eine Aussage über den ökologischen Fußabdruck eines seiner Produkte machen möchte und sich entscheidet, eine Studie mit der Methode des Produkt-Umwelt-Fußabdrucks durchzuführen, würde dies etwa 8.000 Euro kosten.“
Warum die Kontroverse?
Diese Verantwortung für Unternehmen hatte Kritik hervorgerufen. Laut der schwedischen EVP-Abgeordneten Arba Kokalariová würde die Richtlinie „mehr Bürokratie für nachhaltige Unternehmen bedeuten, die eine vorherige Genehmigung beantragen müssten, um zu erklären, dass sie nachhaltig sind”.
In Bulgarien forderte die Industrievereinigung vergangene Woche eine Verschiebung oder den Rückzug der Green Claims Directive. Sie verwies auf unklare Anforderungen, hohe Kosten für die Einhaltung der Vorschriften und rechtliche Unsicherheiten. Zudem warnte sie vor Überschneidungen mit bestehenden EU-Gesetzen, uneinheitlicher Durchsetzung und Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Sie forderte die bulgarischen Vertreterinnen und Vertreter auf, nationale und Binnenmarktinteressen in den kommenden Verhandlungen zu schützen.
Befürworterinnen und Befürworter der Richtlinie argumentieren hingegen, dass sie Verbraucherinnen und Verbraucher besser schützt und Unternehmen Vorteile bringen kann.
Die Green Claims Directive betreffe nur Unternehmen, die Nachhaltigkeit bewerben, sagte Ramona Pop, Geschäftsführerin des Verbraucherzentrale Bundesverbands in Deutschland. “Kein Unternehmen ist gezwungen, mit Nachhaltigkeit zu werben”
„Aber wenn sie es tun, müssen sich Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Werbeaussagen verlassen können”, fügte Pop hinzu. Unternehmen müssten nachweisen, dass es sich nicht um reines Greenwashing handle. Dies werde sicherlich zu weniger grünen Werbeversprechen auf dem Markt führen. „Unternehmen, die tatsächlich nachhaltig handeln, werden davon ebenfalls profitieren.“
Reaktionen auf das Vorgehen der Kommission
Das Vorgehen der Kommission wurde im Rat, wo die Botschafterinnen und Botschafter der 27 Mitgliedstaaten die Angelegenheit am Mittwoch diskutierten, schlecht aufgenommen. Diplomatische Quellen sagten der spanischen Nachrichtenagentur EFE, dass Belgien, Zypern, Spanien, Slowenien, Estland, Frankreich, Irland, Lettland, Litauen und die Niederlande die Entscheidung der Exekutive scharf kritisierten. „Der Freitag und die darauf folgenden Ereignisse waren sehr überraschend, und einige beschrieben sie als enttäuschend und bedauerlich,“ hieß es.
Mehrere Mitgliedstaaten befürchten, dass die Kommission eine Praxis etabliert, die zuvor vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) sanktioniert wurde: Der EuGH hatte entschieden, dass die Kommission ihre Befugnisse nicht als de facto Vetorecht nutzen dürfe. Andere warnten, dass die Entscheidung die institutionelle Integrität untergrabe.
Diese Kontroverse reiht sich in ein breiteres Muster von Widerstand gegen die Umweltpolitik der EU ein: Dazu gehören die Lockerung der CO₂-Ziele für Autos und Lieferwagen, die Verzögerung bei der Durchsetzung von Anti-Entwaldungsvorschriften, die Abschwächung des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur, die Verwässerung von Sorgfaltspflichten für Unternehmen, die Herabstufung des Wolf-Schutzes und gelockerte Beschränkungen für Chemikalien.
Wie geht es weiter?
Während ein Misstrauensantrag – das EU-Äquivalent zu einem parlamentarischen Misstrauensvotum – derzeit unwahrscheinlich erscheint, könnte sich der politische Fallout an anderer Stelle bemerkbar machen, insbesondere während der komplexen Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen 2028–2034, speziell bei der Finanzierung von Klima- und Landwirtschaftsprogrammen.
Kritik an Von der Leyen könnte zudem von der Exekutiv-Vizepräsidentin für einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang, Teresa Ribera, kommen. Ribera warnte davor, dass Europa „seine Klimaziele nicht weiter verwässern kann: Flexibilität ist nur akzeptabel, wenn sie die Ziele nicht gefährdet”.
Von rechten Politikerinnen und Politikern wurde die Kontroverse hingegen heruntergespielt. „Das ist Demokratie, Baby,“ sagte der italienische Europaabgeordnete Nicola Procaccini von der europaskeptischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) und wischte die Debatte als „Politik, nichts weiter“ beiseite.
Das Schicksal der Green Claims Directive bleibt ungewiss, da die Verhandlungen derzeit auf Eis liegen.
Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.
