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Wegen Russlands Invasion in die Ukraine, der wachsenden Instabilität im Nahen Osten und der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus rückt die europäische Verteidigungspolitik in den Fokus. Europa ist gezwungen, seine Strategien bei der Rekrutierung von Streitkräften zu überdenken.

Im vergangenen Monat einigten sich die NATO-Mitgliedsstaaten darauf, ihre Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen. Doch ohne das notwendige militärische Personal bleibt Europas militärische Einsatzbereitschaft auch bei höheren Ausgaben gefährdet. 

Diese Entwicklung führt dazu, dass das Thema Wehrpflicht auf dem gesamten Kontinent wieder Gegenstand politischer Debatten ist.

Eine aktuelle Umfrage der Denkfabrik European Council on Foreign Relations in neun europäischen Ländern ergab, dass in mehreren der Länder, darunter Frankreich, Deutschland und Polen, die Wiedereinführung des verpflichtenden Militärdienstes von der Mehrheit der Menschen befürwortet wird. Diese Unterstützung lässt allerdings in Deutschland und Polen in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen nach.

Wehrpflicht bleibt in einigen EU-Mitgliedsstaaten bestehen

Viele EU-Länder haben den verpflichtenden Dienst in ihren Streitkräften nach dem Ende des Kalten Krieges abgeschafft oder ausgesetzt. Andere wiederum behielten ihn mit unterschiedlichen Zeitvorgaben und Regelungen bei.

Derzeit gibt es in neun Mitgliedstaaten eine Wehrpflicht (Österreich, Zypern, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Lettland, Litauen und Schweden).

Kroatien wird bald zu dieser Gruppe gehören. Das Land hatte den verpflichtenden Militärdienst zunächst 2008 abgeschafft. Ab Januar 2026 wird eine zweimonatige Grundausbildung eingeführt. Wer aus religiösen oder moralischen Gründen den Kriegsdienst verweigert, kann stattdessen eine dreimonatige Ausbildung im Zivilschutz oder eine viermonatige Ausbildung in lokalen Einheiten absolvieren.

Die Wehrpflichtigen erhalten ein Nettogehalt von 1.100 Euro pro Monat, und ihre Verpflegung, Transportkosten, Urlaub und andere Ausgaben werden übernommen. Der Dienst wird auf die Beschäftigungszeit angerechnet, und berufstätige Wehrpflichtige dürfen aufgrund ihres Dienstes nicht entlassen werden. Arbeitslose Wehrpflichtige erhalten zudem eine bevorzugte Einstellung in staatlichen und kommunalen Institutionen.

Die Länder mit Wehrpflicht wenden unterschiedliche Modelle an: verpflichtender Dienst für alle geeigneten Bürgerinnen und Bürger, Losverfahren, wenn die Zahl der Freiwilligen nicht ausreicht, oder selektive Einberufung, basierend auf Motivation und Fähigkeiten.

Welche Länder in Europa erwägen die (Wieder-)Einführung der Wehrpflicht?

Mehrere europäische Länder, die die Wehrpflicht ausgesetzt haben, verlassen sich auf Freiwillige, um ihre Truppenstärke zu erhöhen. Angesichts der Bedrohung durch Russland versucht die deutsche Bundeswehr, mindestens 60.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten zu rekrutieren.

Das hat zu einer erneuten Debatte darüber geführt, ob eine verpflichtende Wehrpflicht in Deutschland notwendig ist – mehr als ein Jahrzehnt nachdem diese ausgesetzt wurde. 

Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte Ende Juni, dass er dies für wahrscheinlich halte. „Die Bundeswehr zurück in die Mitte unserer Gesellschaft,” sagte er.

„Es war ein Fehler – wie wir spätestens heute wissen – die Wehrpflicht auszusetzen.“

Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz

Im Koalitionsvertrag zwischen der sozialdemokratischen SPD und Merz’ konservativen Schwesterparteien CDU und CSU verpflichtete sich die neue deutsche Regierung jedoch, auf freiwilligen Militärdienst zu setzen. Die SPD stand wegen dieser Vereinbarung parteiintern unter Druck. Auf ihrem Bundesparteitag am Samstag verabschiedete sie jedoch einen Antrag mit diesem Wortlaut: „Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind.“

Weiter heißt es: „Maßnahmen zur Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer wollen wir ermöglichen.“

Auch in Portugal hat die Debatte über die Wehrpflicht zuletzt Fahrt aufgenommen. Befürworterinnen und Befürworter argumentieren, dass sie den Bürgersinn und den sozialen Zusammenhalt fördere und die Gesellschaft besser auf Krisen vorbereite. Kritische Stimmen hingegen verweisen auf die hohen logistischen Kosten, die Einschränkung der individuellen Freiheit und die Notwendigkeit, die Streitkräfte durch hochqualifizierte Fachkräfte zu modernisieren, anstatt auf Massenrekrutierungen zu setzen.

Der verpflichtende Militärdienst war im 20. Jahrhundert eine prägende Realität in Portugal. Von der Ersten Republik (1910–1926) bis in die späten 1990er Jahre wurden Tausende junger portugiesischer Männer einberufen, um ihre „bürgerliche Pflicht gegenüber der Nation“ zu erfüllen. Im Jahr 2004 wurde die Wehrpflicht abgeschafft und durch ein professionelles Freiwilligenmodell ersetzt, das bis heute besteht.

Derzeit rekrutieren die portugiesischen Streitkräfte junge Menschen durch freiwillige Verpflichtungen oder befristete Verträge mit Dienstzeiten von sechs Monaten bis zu sechs Jahren. Ein Überbleibsel aus der Zeit der Wehrpflicht ist der Nationale Verteidigungstag, eine eintägige Veranstaltung, die das Bewusstsein junger Menschen für die Streitkräfte und die nationale Verteidigung schärfen soll. Obwohl an diesem Tag keinerlei militärisches Training stattfindet, ist die Teilnahme für portugiesische Staatsbürger zwischen 18 und 30 Jahren verpflichtend und Voraussetzung für den Zugang zu bestimmten Bürgerrechten, wie etwa die Beantragung eines Reisepasses oder die Bewerbung für den öffentlichen Dienst.

Bulgarien, einst einer der am stärksten militarisierten Staaten des ehemaligen Ostblocks, setzt seit der Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2008 auf eine Berufsarmee. Doch das Land sieht sich mit einem Personaldefizit von 21,8 Prozent konfrontiert. Trotz jüngster Gehaltserhöhungen bleibt die Rekrutierung hinter den Erwartungen zurück. Verteidigungsminister Atanas Zapryanov erklärte, dass eine begrenzte verpflichtende Ausbildung, insbesondere für Rollen mit Schusswaffen-Gebrauch, in Betracht gezogen werde. Eine vollständige Wiedereinführung der Wehrpflicht sei jedoch nicht geplant, könnte aber erfolgen, falls die Rekrutierung weiterhin hinter den Erwartungen zurück bleibe.

In Rumänien wurde die Wehrpflicht am 1. Januar 2007 mit dem Beitritt zur NATO und zur EU ausgesetzt. Laut Gesetz kann die Wehrpflicht im Kriegsfall reaktiviert werden. Alle Bürgerinnen und Bürger können dann eingezogen werden, auch diejenigen, die ihren Wehrdienst nicht absolviert haben. Nach Beginn des Krieges in der Ukraine gab es insbesondere online Diskussionen über eine mögliche teilweise oder freiwillige Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das Verteidigungsministerium lehnte die Idee jedoch ab und betonte, dass es vorzuziehen sei, die freiwilligen Reserven auszubauen und die Auswahlgrundlage zu verbessern.

In Polen kündigte Ministerpräsident Donald Tusk Anfang März die Wiedereinführung einer Form des Militärdienstes an. Ziel sei es,  jährlich 100.000 Menschen zu verpflichten.

Auch in Frankreich wurde die Debatte wieder aufgenommen. Der Militärdienst wurde 1997 unter Präsident Jacques Chirac ausgesetzt. Die öffentliche Diskussion über den Militärdienst entfachte sich neu, als Präsident Emmanuel Macron in einem Interview mit der Regionalpresse im März eine „umfassende Überarbeitung“ des universellen Nationaldienstes (SNU) ankündigte. Die Wiedereinführung eines verpflichtenden Militärdienstes (für Männer und Frauen) würde laut einer aktuellen politischen Notiz des Haut-Commissariat à la Stratégie et au Plan – der französischen Hochkommission für Strategie und Planung – ein jährliches Budget von 15 Milliarden Euro erfordern.

In Belgien wurde die Wehrpflicht seit 1993 ausgesetzt, jedoch nicht abgeschafft. Theoretisch könnte sie durch eine Änderung des Gesetzes wieder aktiviert werden.

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine gab es einige Diskussionen über die Wiedereinführung der verpflichtenden Wehrpflicht, doch diese führten bislang zu keinen konkreten Initiativen. Die öffentliche Meinung scheint nicht zugunsten einer Wiedereinführung zu sein. Laut Verteidigungsminister Theo Francken ist Belgien logistisch nicht auf eine Rückkehr zur Wehrpflicht vorbereitet, da es an Personal, Kasernen und Betten fehlt.

Die derzeitige Regierung hat jedoch die Einführung eines freiwilligen Militärdienstes von einem Jahr angekündigt. Jede*r 18-jährige Belgierin und Belgier wird eine Einladung erhalten. Der Plan sieht vor, im September 2026 mit einer ersten Gruppe von 500 Freiwilligen zu starten. Bis 2028 hofft die Regierung, jährlich etwa 1.000 neue Rekrutinnen und Rekruten zu gewinnen. Freiwillige erhalten ein monatliches Gehalt von rund 2.000 Euro.

Welche Länder lehnen die Wehrpflicht ab?

Während die Debatte in vielen europäischen Ländern offen geführt wird, ist in anderen die Ablehnung klar. In Spanien schloss Verteidigungsministerin Margarita Robles im März 2024 aus, dass das Land die Wehrpflicht wieder einführen werde, selbst angesichts der Möglichkeit, dass die russische Bedrohung in der Ukraine auf andere europäische Länder übergreifen könnte. „Es wird keinen Wehrdienst in Spanien geben, absolut keinen, und ich glaube nicht, dass irgendjemand das in Erwägung gezogen  hat“, erklärte sie in einer Stellungnahme.

Auch Slowenien zieht trotz eines Personalmangels in den Streitkräften die Wiedereinführung der Wehrpflicht derzeit nicht in Betracht, wie das Verteidigungsministerium mitteilte. Verteidigungsminister Borut Sajovic erklärte, er beobachte die Entwicklungen in Ländern, die Schritte in diese Richtung unternähmen.

„Überall scheint es, dass die Wehrpflicht weder ein Allheilmittel noch ein Zauberstab ist.“

Sloweniens Verteidigungsminister Borut Sajovic

Die Slowakei hat die Wehrpflicht ebenfalls ausgeschlossen. Ministerpräsident Robert Fico und andere Regierungsvertreter setzen auf freiwillige Alternativen, obwohl jahrelange Bemühungen zur Rekrutierung wenig Erfolg hatten. Verteidigungsexperten und ehemalige Minister wie Martin Sklenár sind sich einig, dass ein neues Modell erforderlich ist. Derzeit werden Vorschläge wie finanzielle Anreize und Reformen des Reservistensystems diskutiert.

Auch Albanien hat keine Eile, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Im November 2010 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Wehrpflicht abschaffte und den Weg für die Einrichtung einer professionellen und modernen Armee ebnete. In dem Land  hatte es seit 1968 eine Wehrpflicht gegeben. 

In Irland steht die Einführung der Wehrpflicht nicht auf der politischen Agenda. Seit der Unabhängigkeit des Landes vor über 100 Jahren gab es dort nie eine Wehrpflicht.

Die Geschlechterdebatte im Zusammenhang mit der Wehrpflicht

Im Rahmen der Diskussion über die Wehrpflicht wird auch darüber debattiert, ob diese gleichermaßen für Männer und Frauen gelten sollte. Laut einer Umfrage in 12 europäischen Ländern aus dem Jahr 2023 machen Frauen etwa 13 Prozent der Streitkräfte aus.

Innerhalb der EU gilt die Wehrpflicht derzeit nur in Schweden und Dänemark für beide Geschlechter. In Dänemark wurde diese Regelung ab dem 1. Juli eingeführt. Das bedeutet, dass Frauen, die nach diesem Datum 18 Jahre alt werden, im Jahr 2026 zum Wehrdienst einberufen und auf gleicher Grundlage wie Männer für den Militärdienst bewertet werden. Laut Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen von der liberalen Partei Venstre sei diese Maßnahme notwendig, da „wir hart daran arbeiten müssen, unser Heimatland zu verteidigen“. 

„Wir müssen einfach mehr Männer und Frauen haben, die in der Lage sind, Waffen zu führen.“

Dänemarks Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen

Angesichts der schwersten Sicherheitskrise seit Jahrzehnten überdenken europäische Regierungen nicht nur ihre Verteidigungsbudgets, sondern auch die Rolle der Bürgerinnen und Bürger beim Schutz des Kontinents. Ob durch verpflichtenden Dienst, freiwillige Modelle oder völlig neue Ansätze – die kommenden Jahre werden die Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Militär in der EU voraussichtlich grundlegend verändern.

Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.