Kremlchef Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sind einem ersten Treffen seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine vor dreieinhalb Jahren einen Schritt näher gekommen.
In der Welle von diplomatischen Bemühungen der vergangenen Tage sicherten die USA den europäischen Verbündeten zudem Unterstützung bei Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu, sollte ein Friedensabkommen zur Beendigung des Krieges mit Russland unterzeichnet werden.
Das war das Ergebnis eines Treffens einer Gruppe europäischer Staats- und Regierungschefs, den EU- und NATO-Spitzen, US-Präsident Donald Trump und Selenskyj am Montag im Weißen Haus.
Europas Spitzenpolitik, die die Ukraine seit Ausbruch des Krieges stark unterstützt, begrüßte diese Entwicklungen.
„Nach dreieinhalb Jahren Krieg beschleunigt sich die diplomatische Aktivität, und die Dynamik bei der Bereitstellung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine nimmt zu, einschließlich der Zustimmung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, an diesem Vorhaben teilzunehmen“, sagte der Präsident des Europäischen Rates, António Costa, am Dienstag nach einem Online-Gipfel des Europäischen Rates.
Trump sagte, er habe am Montag mit Putin telefoniert und begonnen, ein Treffen zwischen ihm und Selenskyj zu organisieren. Es wäre das erste Treffen seit 2019.
„Nach diesem Treffen wird es ein Trilat geben, das die beiden Präsidenten und mich einschließt“, schrieb Trump in einem Beitrag auf Truth Social nach dem Treffen im Weißen Haus mit Selenskyj und den Europäern. Das sei „ein sehr guter, früher Schritt für einen Krieg, der seit fast vier Jahren andauert“, fügte er hinzu.
Der NATO-Generalsekretär Mark Rutte sagte am Montag, dass Gespräche über Sicherheitsgarantien für die Ukraine im Gange seien, die denen für NATO-Mitgliedstaaten ähnelten.
Was bisher geschah
Nach ihrem Gipfel am Freitag in Alaska bezeichneten Trump und Putin die Gespräche als produktiv, gaben jedoch nur wenige Details darüber preis, wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine beendet werden könnte.
Europäische Staats- und Regierungschefs, die EU sowie die Ukraine waren von den Gesprächen ausgeschlossen. Kritiker des Gipfels bemängelten, dass für Putin buchstäblich der rote Teppich ausgerollt wurde.
Der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, schrieb auf X: „Alaska: Putin hat seinen roten Teppich mit Trump bekommen, Trump dagegen nichts. Wie zu befürchten war: Kein Waffenstillstand, kein Frieden. Kein wirklicher Fortschritt – ganz klar 1:0 für Putin – keine neuen Sanktionen. Für die Ukrainer: nichts. Für Europa: tiefst enttäuschend.“
Der politische Analyst und ehemalige slowenische Europaabgeordnete Klemen Grošelj merkte an, Trump habe gesagt, die USA würden nur als Vermittler bei den Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew fungieren. In einem Interview mit Fox News nach dem Treffen habe Trump gesagt, die Ukraine müsse erkennen, dass sie klein sei und Russland groß. „Damit hat er eine sehr klare Botschaft gesendet, dass die USA nicht diejenigen sein werden, die ukrainische Positionen vertreten und verteidigen“, sagte Grošelj.
Einem über ein Telefonat auf Trumps Rückflug von Alaska mit Selenskyj und den Europäern informierten Beamten zufolge unterstütze der US-Präsident einen Vorschlag Putins, der Russland die vollständige Kontrolle über zwei östliche ukrainische Regionen zuschlägt, im Austausch für das Einfrieren der Frontlinie in zwei anderen Regionen.
Putin „fordert de facto, dass die Ukraine den Donbass verlässt“, ein Gebiet, das aus den Regionen Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine besteht und das Russland derzeit nur teilweise kontrolliert, so die Quelle. Im Gegenzug würden russische Truppen ihre Offensive in der Schwarzmeer-Hafenregion Cherson und Saporischschja im Süden der Ukraine einstellen, wo die wichtigsten Städte noch unter ukrainischer Kontrolle seien.
Einige Monate nach Beginn der groß angelegten Invasion in der Ukraine hatte Russland im September 2022 erklärt, alle vier ukrainischen Regionen annektiert zu haben. Russische Truppen kontrollieren aber immer noch keine dieser Regionen vollständig.
Am Montag traf Selenskyj Trump im Weißen Haus, später stießen der französische Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Keir Starmer, der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der finnische Präsident Alexander Stubb und NATO-Generalsekretär Mark Rutte hinzu.
Auffällig war das Fehlen des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez. Die spanische Opposition warf ihm deswegen vor, sein Land in der EU in eine untergeordnete Position zu bringen, nachdem er sich beim letzten NATO-Gipfel geweigert hatte, die Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent des BIP zu erhöhen.
Sánchez unterstützt den EU-Konsens zur Ukraine und besteht darauf, dass Kiew in jede Entscheidung über seine Zukunft einbezogen werden muss. Er betonte auch die Dringlichkeit eines sofortigen Waffenstillstands, um einen gerechten und dauerhaften Frieden zu ermöglichen.
Welche Rolle spielt Europa?
Europäische Regierungen befürchten, an den Rand gedrängt zu werden. Sie bestehen darauf, sicherzustellen, dass ihre Sicht der Dinge – und die Kiews – nicht vom US-russischen Dialog ignoriert werden, der die langfristige Sicherheit Europas prägen könnte.
Europas Spitzenpolitikerinnen und -politiker fordern einen sofortigen Waffenstillstand als ersten Schritt in Richtung Frieden. Sie verlangen bindende Sicherheitsgarantien für die Ukraine und warnen Trump davor, Putins Zusicherungen zu vertrauen.
Die Frage eines Waffenstillstands ist ein Punkt, bei dem sich die USA und Europa möglicherweise uneinig sind. Trump besteht nicht mehr auf ein umfassendes Friedensabkommen und denkt, dass es auch ohne ihn erreicht werden könne, während Merz am Montag die Bedeutung eines solchen Abkommens unterstrich.
Macron äußerte sich ebenfalls vorsichtig über die Wahrscheinlichkeit eines Endes der Gewalt als Ergebnis eines möglichen Treffens zwischen Selenskyj und Putin.
„Wir haben den amerikanischen Präsidenten und die Ukraine, die Frieden wollen (…) Von Putin bin ich nicht überzeugt“, sagte Macron. „Sein ultimatives Ziel ist es, so viel Territorium wie möglich zu erobern, die Ukraine zu schwächen und eine Ukraine zu schaffen, die weder eigenständig lebensfähig ist noch innerhalb Russlands Einflussbereich liegt. Das ist für alle ziemlich offensichtlich.“
David Salvo, Geschäftsführer der Alliance for Securing Democracy beim German Marshall Fund, sagte: „Es ist positiv, dass es keine widersprüchlichen Töne zwischen Trump und Selenskyj gab, als sie drei Tage nach dem Alaska-Gipfel gemeinsam im Weißen Haus vor die Presse traten. Trump hat jedoch wenig getan, um den Eindruck zu zerstreuen, dass die Vereinigten Staaten ein umfassendes Friedensabkommen unterstützen würden, das weitgehend zu Russlands Bedingungen erfolgt. Putin gibt weiterhin den Ton an.“
Andere Experten betonten die Rückkehr der Vertreterinnen und Vertreter Europas in den Mittelpunkt.
„Im [Februar] war nicht klar, ob Europa ‘einen Platz am Tisch‘ haben würde. Die gestrigen [Treffen] zeigen, dass Europa tatsächlich viele Plätze am Tisch hat. Das verändert die Natur dieser Verhandlungen grundlegend. Ein Verdienst der europäischen Spitzenpolitik, die den Code geknackt haben, wie man mit Trump umgeht“, schrieb Mujtaba Rahman, Geschäftsführer für Europa bei der Eurasia Group, einem Unternehmen für politische Risikoanalyse, auf X.
Europa einig im Fokus auf Frieden – aber mit unterschiedlichen Ansichten
Nach der Videokonferenz der sogenannten „Koalition der Willigen“ am Sonntag – einer Gruppe von Ländern, die militärische und wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine koordinieren – sagte der bulgarische Ministerpräsident Rosen Zhelyazkov in einem Beitrag auf X, dass Sicherheitsgarantien für die Ukraine nachhaltige Unterstützung sowohl aus Europa als auch aus den USA umfassen müssen. Seinen Worten zufolge habe das Online-Treffen die grundlegende Aufgabe unterstrichen, die Tötungen zu stoppen und einen dauerhaften und gerechten Frieden in der Ukraine auf Grundlage der Prinzipien des Völkerrechts zu unterstützen.
Auf die Frage nach dem Treffen zwischen Trump und Putin am Freitag und der Zukunft des Krieges in der Ukraine sagte der bulgarische Präsident Rumen Radev gegenüber Reportern, dass das Treffen in Alaska den Dialog und die Hoffnung auf Frieden für alle wiederherstelle.
Die Haltung Albaniens, eines EU-Beitrittskandidaten, zur Ukraine steht im Einklang mit den Positionen der Europäischen Union und der NATO, deren Mitglied Albanien ist.
Doch innerhalb Europas sind nicht alle Staats- und Regierungschefs einer Meinung darüber, wie der Konflikt zu bewerten ist.
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, ein Kritiker der EU-Unterstützung für die Ukraine, sagte, das Treffen zwischen Trump und Putin habe offiziell die Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Russland eingeleitet. Seiner Ansicht nach liege der Weg nach vorne nicht darin, die russische politische Führung zu „beschuldigen“ oder Sanktionen zu verhängen, sondern in einem konstruktiven Dialog.
Er wurde von der Opposition dafür kritisiert, russische Narrative zu wiederholen. „Haben Sie die Reaktionen unserer Regierung, des Ministerpräsidenten und des Verteidigungsministers Robert Kaliňák, auf die bisher unbestätigte Vereinbarung und die russischen Forderungen aus Alaska gesehen?“, fragte Michal Šimečka, der Vorsitzende der Oppositionsgruppe PS. „Beide haben sich sofort öffentlich auf die Seite Russlands gestellt und gesagt, dass Russland Sicherheitsgarantien erhalten müsse und dass es notwendig sei, über das zu diskutieren, was Putin als die Beseitigung der Ursachen des Konflikts bezeichnet hat.“
Ungarn ist eine weitere kritische Stimme. Vor dem Gipfel in Alaska unterzeichneten alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Ungarns einen Brief, in dem sie ihre Unterstützung für die Friedensinitiative von Trump bekundeten und betonten, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer „das Recht haben, ihr eigenes Schicksal zu wählen“. Zudem forderten sie Sanktionen gegen Russland.
Was kommt als Nächstes?
Die kommenden Wochen werden zeigen, ob Trumps Vorstoß für direkte Gespräche zwischen Selenskyj und Putin zu echten Fortschritten führt oder bestehende Spaltungen weiter vertieft.
Das Format, der Ort und die Agenda der Gespräche bleiben unklar. Solche Verhandlungen würden wahrscheinlich auf unmittelbare Hindernisse stoßen, insbesondere auf die Forderung der Ukraine, kein souveränes Territorium abzutreten, und Putins Entschlossenheit, eine Anerkennung der russischen Gebietsgewinne zu erreichen.
Für Europa besteht die Herausforderung darin, in einem Prozess relevant zu bleiben, der zunehmend von Washington und Moskau geprägt wird. EU-Beamte drängen auf Sicherheitsgarantien, die über bloße Worte hinausgehen. NATO-Verbündete bleiben skeptisch, dass Trump Kiew zu einem Abkommen drängen könnte, das Moskau begünstigt, um einen außenpolitischen Erfolg für sich zu verbuchen.
Unterdessen gehen die Kämpfe weiter: Russland startete am Montag einen groß angelegten nächtlichen Angriff auf die Ukraine mit Drohnen und Raketen, während die Ukraine eine russische Ölraffinerie mit Drohnen angriff.
FAKTENCHECK: Die Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine
Während sich die Ukraine und Russland den Friedensgesprächen nähern, tobt Russlands Angriffskrieg weiter – ebenso wie prorussische Desinformationsnarrative im Internet. Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie die Geschichte hinter dem Krieg verdreht wird.
Eine sogenannte „Chronik des Krieges in der Ukraine“, die auf X und Facebook geteilt wurde, behauptet, dass es 2014 einen gewaltsamen Putsch gegen die damalige ukrainische Regierung unter dem ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch gegeben habe, „angeführt von den USA und ukrainischen Faschisten“. Was in dieser „Chronik“ beschrieben wird, bezieht sich jedoch auf die Ereignisse, die als Euromaidan bekannt sind – eine Reihe groß angelegter Proteste gegen Janukowitsch und zivile Unruhen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew.
Der Streitpunkt zu dieser Zeit war ein gescheitertes Assoziierungsabkommen mit der EU. Im November 2013 hatte Janukowitsch überraschend ein mühsam ausgehandeltes Abkommen wenige Tage vor der geplanten Unterzeichnung auf Eis gelegt. Russland hatte zuvor seinem Nachbarn mit wirtschaftlichen Sanktionen gedroht, falls das Abkommen mit der EU unterzeichnet würde.
Weitere Informationen finden Sie im Faktencheck der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Deutsch hier.
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