Anerkennung, Sanktionen, Zwei-Staaten-Lösung: In den vergangenen Wochen, insbesondere bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, haben die Länder ihre Positionen zu Israel und den Palästinensern deutlich gemacht. Während die Forderungen nach einer Anerkennung der palästinensischen Staatlichkeit an Unterstützung gewinnen, gelingt es der EU nicht, mit einer Stimme zu sprechen.
Der Präsident des Europäischen Rates, António Costa, sagte Anfang dieser Woche, dass eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten inzwischen den palästinensischen Staat anerkenne. „Es gibt nur einen Weg nach vorne – die Zwei-Staaten-Lösung. Ein sicherer und anerkannter Staat Israel. Ein unabhängiger, demokratischer, lebensfähiger Staat Palästina. Seite an Seite lebend,“ betonte er auf X.
Die EU ist in der Frage der Anerkennung des palästinensischen Staates gespalten. Frankreich, Belgien, Luxemburg, Portugal und Malta gehören nun auch zu der Gruppe jener EU-Länder, die den Staat Palästina anerkannt haben. Sechzehn der 27 EU-Mitgliedstaaten haben diese Entscheidung bereits getroffen, in mehreren Wellen: Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Zypern schon in den 1980er Jahren. Ebenso die damalige Tschechoslowakei – das heutige Tschechien und die Slowakei –, die post-sowjetischen tschechischen Regierungen jedoch haben einen palästinensischen Staat nicht anerkannt. Schweden ist 2014 nachgezogen, Slowenien, Spanien und Irland folgten 2024.
Australien, Großbritannien und Kanada haben diese Woche ebenfalls bei den Vereinten Nationen einen palästinensischen Staat anerkannt und erhöhen damit den Druck auf Israel – und seinen Hauptunterstützer, die Vereinigten Staaten, während Israel seinen Krieg im Gazastreifen intensiviert.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war am Montag einer der wichtigen Polit-Player, der bei den Vereinten Nationen einen palästinensischen Staat anerkannten. Eine Reihe westlicher Staaten ging diesen historischen – wenn auch symbolischen – Schritt, um den Druck auf Israel zu erhöhen. „Die Zeit für Frieden ist gekommen, da wir nur noch Momente davon entfernt sind, ihn nicht mehr ergreifen zu können,“ sagte Macron vor der Generalversammlung.
Portugals Anerkennung folgte wochenlangen Konsultationen zwischen der Regierung, den im Parlament vertretenen politischen Parteien und auch dem Präsidenten. Außenminister Paulo Rangel sagte: „Es ist an der Zeit, mehr als an der Zeit, die notwendigen Schritte in Richtung Frieden zu unternehmen,“ und fügte hinzu, dass er hoffe, dass die Anerkennung mit einem Ende aller Konfrontationen zwischen dem israelischen Militär und den Hamas-Rebellen einhergehen werde.
Polen hat eine konsequente Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt und betont das Recht der Palästinenser auf Staatlichkeit. Warschau hat Palästina in den späten 1980er Jahren anerkannt und setzt sich konsequent für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Außenminister Radosław Sikorski betont immer wieder, dass „nichts ohne die Beteiligung der Palästinenser selbst geschehen sollte“ und argumentiert, dass regionale Stabilität ihre volle Einbindung in den politischen Prozess erfordere.
Post-sowjetische Sonderfälle: Es ist kompliziert
Einige mittel- und osteuropäische Länder, die in den 1980er Jahren als Teil des sowjetischen Blocks den palästinensischen Staat anerkannten, sind heute den Positionen der israelischen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu näher. Dazu zählt etwa Ungarn.
Die damalige Tschechoslowakei hatte Palästina während der Sowjetzeit anerkannt, doch die heutige tschechische Regierung sieht die Dinge anders.
Sie unterstützt eine Zwei-Staaten-Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Diese könne jedoch nur durch direkte Verhandlungen zwischen den beiden Seiten erreicht werden, was nicht möglich sei, solange der Gazastreifen von der Hamas-Terrorbewegung kontrolliert werde, so das Außenministerium. „Die Tschechische Republik hat den palästinensischen Staat nicht anerkannt und plant dies derzeit auch nicht,“ hieß es.
Außenminister Jan Lipavský sagte zudem, er widerspreche den Schlussfolgerungen der UN-Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zu den besetzten palästinensischen Gebieten, die Israel vorwirft, in Gaza einen Völkermord zu begehen. Auch die EU-Kommission ist in dieser Frage gespalten. Sie distanzierte sich von Äußerungen von Kommissarin Teresa Ribera, die Anfang September sagte: „Der Völkermord in Gaza zeigt Europas Versagen, mit einer Stimme zu handeln und zu sprechen.“
Einige EU-Mitglieder legen sich nicht fest. Die bulgarische Regierung hat beispielsweise noch keine offizielle Stellungnahme zu diesem Thema abgegeben.
Wer ist nicht an Bord?
Elf EU-Mitgliedstaaten halten sich zurück und bestehen darauf, dass eine Einigung über die Zwei-Staaten-Lösung notwendig sei, bevor ein palästinensischer Staat anerkannt werden könne.
Deutschland und Italien gehören zu den größten Skeptikern in Europa. Die Regierung in Berlin plane derzeit nicht, dem Beispiel anderer Länder zu folgen, obwohl sie eine Zwei-Staaten-Lösung stark befürworte. Für Deutschland sollte die Anerkennung am Ende eines Prozesses hin zu einer Lösung stehen, sagte Außenminister Johannes Wadephul vor Journalisten in New York. „Aber dieser Prozess muss jetzt beginnen,“ forderte er.
„In Gaza erleben die Menschen die Hölle auf Erden.“
Deutschlands Außenminister Johannes Wadephul
Auf einer Konferenz zu diesem Thema kritisierte er Israels Vorgehen scharf, betonte jedoch, dass dieser jahrzehntealte Konflikt nicht durch „Terror, Zerstörung und Tod“ gelöst werden könne.
Italiens Außenminister Antonio Tajani sagte, Rome halte an seiner Position fest, den Staat Palästina nicht anzuerkennen. „Einen Staat anzuerkennen, ohne zuvor die Bedingungen für seine Entstehung zu schaffen, würde keine Wirkung haben, außer sich weiter vom Frieden zu entfernen,“ sagte er Anfang des Monats im Parlament.
Kroatien ist ebenfalls noch nicht soweit, einen Palästineser-Staat anzuerkennen. In dieser Frage gibt es eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Präsidenten und der Regierung, die gemeinsam über außenpolitische Fragen entscheiden. Laut seinem Büro sagte Präsident Zoran Milanović am Montag in New York, dass Kroatien einen palästinensischen Staat anerkennen solle, und betonte, dass dies keine Belohnung für die Palästinenser sei, sondern ihr Recht.
Symbolik versus Realität
Doch die Anerkennung, so historisch sie auch sein mag, wird die Realitäten vor Ort kaum verändern. „Wenn sie nicht durch konkrete Maßnahmen unterstützt wird, läuft die Anerkennung Palästinas als Staat Gefahr, von der Realität abzulenken – nämlich der beschleunigten Auslöschung des palästinensischen Lebens in ihrer Heimat,“ sagte Max Rodenbeck, Projektleiter für Israel-Palästina bei der International Crisis Group.
Romain Le Boeuf, Professor für internationales Recht an der Universität Aix-Marseille in Südfrankreich, erklärte: „Anerkennung bedeutet nicht, dass ein Staat geschaffen wurde, ebenso wenig wie das Fehlen einer Anerkennung verhindert, dass ein Staat existiert.“ Während die Anerkennung vor allem symbolisches und politisches Gewicht habe, zeigten drei Viertel der Länder, „dass Palästina alle notwendigen Bedingungen erfüllt, um ein Staat zu sein“, fügte er hinzu.
Netanjahu will einen palästinensischen Staat nicht zulassen, und rechtsextreme Mitglieder seines Kabinetts drohen damit, das Westjordanland zu annektieren, um die Staatlichkeit unmöglich zu machen.

Wann ist eine Sanktion wirklich eine Sanktion?
Es geht nicht nur um die Anerkennung eines palästinensischen Staates – die EU ist auch uneins darüber, ob Sanktionen gegen Israel wegen seines Vorgehens im Gazastreifen verhängt werden sollen und, falls ja, in welchem Umfang.
Der Krieg im Gazastreifen begann im Oktober 2022. Israel startete eine Militäroffensive als Reaktion auf den Angriff der Terrorgruppe Hamas, bei dem Bewaffnete 1.200 Menschen im Süden Israels töteten und 251 weitere als Geiseln nahmen.
Seit Beginn des Krieges wurden laut den neuesten Zahlen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza mehr als 65.000 Palästinenserinnen und Palästinenser bei den israelischen Angriffen im Gazastreifen getötet.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug in ihrer Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament Anfang des Monats mehrere Maßnahmen vor, darunter die Abschaffung von Freihandelsvorteilen für Israel und Sanktionen gegen radikale israelische Politiker. Forderungen für wirksame Sanktionen hatten sich in den Wochen zuvor verstärkt, doch bisher kann die Kommissionspräsidentin nicht mehr tun als Ankündigungen zu machen.
Die Fronten verlaufen ähnlich wie in der Debatte über die Anerkennung eines palästinensischen Staates, mit Deutschland auf der Bremse: Bundeskanzler Friedrich Merz sagte, seine Regierung wolle bis zum nächsten informellen EU-Gipfel Anfang Oktober eine Position zu von der Leyens Vorschlag finden.
Andere Mitgliedstaaten bewegen sich in Richtung einer härteren Haltung gegenüber Israel.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez äußerte seine volle Zustimmung zu den Vorschlägen der Kommission. Spanien fordert seit einem Jahr die Aussetzung des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel. Er betonte, dass der Terrorismus nicht durch wahllose Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Gaza besiegt werden könne.
Der italienische Außenminister sagte, dass sein Land sowohl Sanktionen gegen extremistische israelische Minister und gewalttätige Siedler als auch gegen die extremistische Terrorgruppe Hamas unterstütze. Die Opposition sowie öffentliche Proteste fordern stärkere Konsequenzen für Israels Handlungen.
Die schwedische Regierung äußert sich zunehmend kritisch gegenüber Israels Vorgehen in Gaza und unterstützt sowohl eine vorübergehende Aussetzung des Handelsabkommens als auch EU-Sanktionen gegen Minister und Siedler. Schweden erwägt zudem eine Gesetzesänderung, um einseitige Sanktionen einführen zu können, was derzeit nicht möglich ist. „Wir müssen anfangen, über Alternativen nachzudenken, wenn wir im Rat wiederholt daran gehindert werden, stärkere Maßnahmen zu ergreifen,“ sagte Außenministerin Maria Malmer Stenergard im August.
Auch Slowenien gehört zu den EU-Mitgliedstaaten, die die EU seit einiger Zeit auffordern, Sanktionen gegen Israel zu verhängen. Da es auf EU-Ebene keine Einigung gab, hat Slowenien einige bilaterale Maßnahmen gegen Israel umgesetzt, darunter die Erklärung der Minister Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich zu „personae non gratae“. Ende Juli war Slowenien das erste EU-Land, das ein Waffenembargo gegen Israel verhängte und alle Importe und Exporte von Waffen nach und aus Israel sowie den Transit von Waffen durch sein Territorium untersagte.
Weitere Mitgliedstaaten könnten versucht sein, in der Sanktionsfrage eigene Wege zu gehen, falls es der EU nicht gelingt, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen.
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