Im Gegensatz zum Nordwesten Europas erreichen die grünen Parteien und Bewegungen in Südosteuropa tendenziell schlechtere Wahlergebnisse als ihre Pendants. Es scheint schwieriger zu sein, die Wähler in Südosteuropa für Umweltthemen zu mobilisieren. Dennoch nimmt dort das Klima-Bewusstsein zu.
Im Jahr 2020 unterzeichneten die Länder des westlichen Balkans auf dem Gipfel in Sofia, Bulgarien, die Erklärung zur Grünen Agenda. Damit verpflichteten sie sich, im Rahmen des europäischen Green Deal, der verlangt bis 2050 klimaneutral zu werden, selbst vollständig aus der Kohle-Wirtschaft auszusteigen.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte die Westbalkanländer zu mehr Zusammenarbeit bei der Energiesicherheit und dem Umstieg auf erneuerbare Energien auf. Russland setze Energie als Waffe ein, sagte sie. „Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, die Energiewende auf den Weg zu bringen, denn wir alle profitieren von sauberer und sicherer Energie,“ sagte sie in ihrer Eröffnungsrede auf der Westbalkan-Konferenz am 21. Oktober in Berlin.
Bosnien und Herzegowina: Wachsendes Umweltbewusstsein, aber mangelnder politischer Wille
Als aktives Mitglied der Energiegemeinschaft, die die EU und viele ihrer Nachbarn auf dem Balkan und in der Schwarzmeerregion zusammenbringt, hat sich Bosnien und Herzegowina (BiH) zur Reform des Energiesektors und zur Harmonisierung seiner Politik mit den EU-Mitgliedern verpflichtet. Bislang hat das Land in dieser Hinsicht jedoch nicht viel getan. Nur drei Prozent der erzeugten Energie stammen aus erneuerbaren Quellen, während im vergangenen Jahr 60 Prozent der Energie aus Kohle gewonnen wurden. Es gibt also Kritik seitens der Energiegemeinschaft an BiH, weil die Entkarbonisierung eine der Bedingungen für die EU-Integration ist.
Da es nur ein Dokument gibt, in dem der strategische Rahmen für die Energiewende umrissen wird, ist das Hauptproblem der fehlende politische Wille. Die grünen und auch andere Parteien in BiH konzentrieren sich zwar nominell auf Umweltthemen, aber nicht genug, um sich erfolgreich von anderen Parteien zu unterscheiden.
Dennoch wächst das Umweltbewusstsein, und die Bürger engagieren sich zunehmend für den Klimaschutz auf lokaler Ebene. Die Grüne Partei von Bosnien und Herzegowina, die erst im März gegründet wurde, gewann ein Mandat in der Versammlung der Republika Srpska (RS).
Nordmazedonien: „Unterschreiben Sie gegen die Mine des Todes“
Von den rund 60 registrierten politischen Parteien gibt es in Nordmazedonien nur eine erklärte grüne Partei – die Demokratische Erneuerung Mazedoniens, kurz: DOM, die einen Sitz in der Versammlung hat. Trotzdem hat das Land in den letzten Jahren eine Reihe von Umweltaktionen und Demonstrationen erlebt.
Einer der bekanntesten Fälle war der Protest gegen die Eröffnung der Gold- und Kupfermine „Ilovica-Shtuka“. Mitte August dieses Jahres begannen Aktivisten mit der Unterschriftensammlung für Petitionen gegen die Eröffnung der Mine unter dem Motto „Unterschreiben Sie gegen die Mine des Todes“.
Im Jahr 2014 wurden zwei Konzessionen an das kanadische Unternehmen Euromax Resources vergeben. Nach jahrelangen Umweltprotesten kündigte die neue Regierung dann eine der Konzessionen und beendete den Vertrag einseitig im Dezember 2019 mit der Begründung, das Unternehmen habe die erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt. Das Gericht entschied im März 2023 zugunsten von Euromax Resources gegen die Entscheidung der Regierung. Im Juni 2023 beschloss die Regierung, zwei Konzessionen für das Bergwerk zu einer einzigen zusammenzulegen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums könnten die Gerichtsurteile zu neuen Klagen und Verfahren vor internationalen Gerichten führen, die den Haushalt ernsthaft belasten könnten. Allerdings zog die Regierung die Entscheidung, zwei Konzessionen zu einer einzigen zusammenzulegen, 20 Tage später wieder zurück.
Auf lokaler Ebene trat eine unabhängige Liste von Aktivisten und NRO für den Schutz der Umwelt sowie der Menschen- und Tierrechte unter dem Namen „Grüne menschliche Stadt“ (ZHG) auf und gewann 2021 zwei Sitze im Stadtrat von Skopje. In den vergangenen zwei Jahren hat die ZHG unter anderem mehr Mittel für die Verarbeitung von Plastikmüll, die Erfassung der Luftverschmutzung, die Kompostierung von organischen Abfällen und das Wohlergehen von streunenden Tieren bereitgestellt.
Der letzte wilde Fluss Europas: Der Wildfluss-Nationalpark in Albanien
Anfang dieses Jahres, im März 2023, wurde der albanische Fluss Vjosa nach einer jahrzehntelangen Kampagne zum ersten Wildfluss-Nationalpark in Europa erklärt. Der Schutz des Flusses wurde von Bürgerinnen und Bürgern und dem Privatsektor sowie von Hollywood-Schauspieler Leonardo DiCaprio, einem ausgesprochenen Verfechter von Umweltthemen, stark unterstützt.
Es gibt weitere Kampagnen zum Schutz anderer albanischer natürlicher Lebensräume wie der Narta- und der Karavasta-Lagunen. Diese Projekte werden weitgehend von ausländischen Partnerorganisationen sowie von Botschaften und der Delegation der Europäischen Union unterstützt. Auch die Regierung des Landes hat den Umweltschutz zu einer nationalen Priorität erklärt.
Erwähnenswert ist auch die „Pflanze einen Baum“-Kampagne der Stadtverwaltung von Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Die Stadtverwaltung gab bekannt, dass sie im Rahmen der Initiative „Orbital Forest“ rund um die Hauptstadt etwa eine Million neue Bäume gepflanzt hat.
In Bulgarien sei „die Grüne Politik in den Hintergrund getreten“, warnt die Grüne Bewegung
In einem Interview am 21. November sagten die beiden Vorsitzenden der bulgarischen Grünen Bewegung, Daniela Bozhinova und Toma Belev, dass die grüne Politik im Namen größerer Ziele Bulgariens, wie dem Beitritt zur Eurozone und zu Schengen, in den Hintergrund getreten sei. Die Grüne Bewegung ist Teil der Koalition „Demokratisches Bulgarien“ und der größeren, machtteilenden Koalition „Weiter so – Demokratisches Bulgarien“ und hält vier Sitze im Parlament. Bozhinova und Belev stellten fest, dass ihre Partei in der Fraktion ungleich vertreten sei, und forderten eine mitführende Position innerhalb des Demokratischen Bulgariens, um die grüne Politik wieder in den Vordergrund zu rücken.
Die Grüne Bewegung ist Teil der Europäischen Grünen Partei und plant, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2024 anzutreten, um ein Mitglied des Europaparlaments zu stellen. In der laufenden Legislaturperiode gelang es der Partei, den Raubbau an den Wäldern zu verhindern, indem sie einen Gesetzentwurf ablehnte, der die Entnahme großer Mengen Holz aus den staatlichen Kommunalwäldern erlaubt hätte.
Die Partei der Grünen Bewegung wurde während der kurzen achtmonatigen Regierungszeit von Kiril Petkov (13. Dezember 2021 bis 2. August 2022) bekannt, als ihr Ko-Vorsitzender Borislav Sandov Umweltminister war. In dieser Zeit setzte die Regierung strenge Umweltgesetze durch, bestrafte Umweltverschmutzer und wies neue Schutzgebiete aus.
Bulgariens prominente Umweltbewegung Ecoglasnost spielte beim Sturz des kommunistischen Regimes eine entscheidende Rolle im Land. Eine Kundgebung der Bewegung am 3. November 1989 in Sofia war die erste Demonstration gegen die totalitäre Herrschaft von Todor Schiwkow. Die Aktivisten wandten sich gegen den Bau von Wasserkraftwerken an den Flüssen Rila und Mesta und forderten öffentliche Reformen. Am 10. November 1989 wurde Schiwkow von der kommunistischen Partei abgesetzt.
Rumänien investiert in Recycling
Im benachbarten Rumänien ist das Recycling-Projekt Pfand-Rücknahmesystem (SGR) eine der jüngsten Initiativen auf Regierungsebene. Premierminister Marcel Ciolacu erklärte, dass es ab dem 30. November nach Deutschland das zweitgrößte in Europa sein werde, was die Anzahl der verarbeiteten Verpackungen angeht.
„Die Einrichtung der RetuRo-Sammelstellen wird bis Ende nächsten Jahres mehr als 600 Arbeitsplätze schaffen und ähnliche Investitionen in Transport und Recycling sowohl horizontal als auch vertikal anregen,“ so Ciolacu. RetuRO Sistem Garantie Returnare SA ist ein „not-for-profit“-Unternehmen. Alle Einnahmen aus der Sammlung von Getränkeverpackungen werden also ausschließlich in die Entwicklung des Abfallrücknahmesystems reinvestiert.
In Rumänien gibt es zwar keine Umweltparteien an der Macht, aber es existieren zahlreiche Organisationen, die sich für eine gesunde und ökologisch ausgewogene Umwelt einsetzen. Unter den etwa zehn Parteien, die als Anhänger einer „grünen Doktrin“ registriert sind, erfreut sich die Grüne Partei, die Mitglied der Europäischen Grünen ist, auf nationaler Ebene an Beliebtheit.
Kroatiens aufstrebende grüne Bewegung: „Wir können!“
In Kroatien, das seit 2013 Mitglied der EU ist, hat die grüne Koalition unter der politischen Plattform „Možemo!“ (Wir können!) im Jahr 2020 bei den letzten Parlamentswahlen 116.000 Stimmen und damit sieben Sitze im Parlament gewonnen. Zum Vergleich: Nur ein Jahr zuvor, bei den EU-Wahlen 2019, erhielt die gleiche Plattform weniger als 20.000 Stimmen. Mit anderen Worten: Nur 1,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler hatten für sie ihre Stimme abgegeben. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2021 wurde einer der Chefs der Plattform „Možemo!“, Tomislav Tomašević, zum Bürgermeister von Zagreb gewählt. Ein neuer Test für ihn und seine Plattform werden die bevorstehenden Parlaments- und Europawahlen sein, die im nächsten Jahr stattfinden werden.
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