Zwölf turbulente Monate in der (Geо-)Politik und Gestaltung politischer Prozesse liegen hinter der Europäischen Union und ihren 27 Mitgliedstaaten. Vom Krieg in der Ukraine bis zu den angespannten transatlantischen Beziehungen: Einige der großen Herausforderungen, die die Debatten derzeit bestimmen, werden noch eine Weile bestehen.
2026 steht für die EU viel auf dem Spiel, weil Russlands Angriffskrieg keine Anzeichen einer Beruhigung zeigt, die EU sich in einer beispiellosen Beziehung zu den USA befindet und der Staatenblock darum kämpft, seine Wirtschaft über Wasser zu halten, während sich die Technologie immer weiter und rasant entwickelt.
Die Möglichkeit eines Krieges mit Russland hat die Aufrüstung der europäischen Nationen notwendig gemacht und die Prioritäten vom Grünen Wandel hin zu höheren Verteidigungsausgaben verlagert.
Zugleich will die EU ihre Bemühungen zur Vereinfachung ihrer Vorschriften im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit fortsetzen. Beobachterinnen und Beobachter wie Kritikerinnen und Kritiker befürchten jedoch, dass wichtige Regelwerke – darunter wegweisende Klimagesetze und digitale Vorschriften – unter dem Druck der Mitgliedstaaten und aus Übersee weiter in den Hintergrund geraten könnten.
Ukraine: EU stimmt Finanzierung zu, während Friedensgespräche sich hinziehen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte Mitte Dezember, Russland bereite sich offenbar darauf vor, seinem Land 2026 ein neues „Kriegsjahr“ zu bescheren, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte, Moskau werde seine Ziele „mit Sicherheit“ erreichen. Die Truppen Moskaus seien in den vorangegangenen Monaten an der Ostfront stetig vorgerückt. Putin lobte erst am vergangenen Freitag die Territorialgewinne der russischen Armee – und drohte mit weiteren in den kommenden Wochen.
Die Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich bei ihrem Gipfel am Donnerstag (18. Dezember 2025) darauf, der Ukraine für die Jahre 2026 und 2027 90 Milliarden Euro für die Verteidigung gegen Russland zur Verfügung zu stellen. Ohne neue Finanzmittel drohten der Ukraine im neuen Jahr ein Defizit von 45 bis 50 Milliarden Euro und eine Einschränkung ihrer Rüstungsproduktion, sagte der Präsident des Europäischen Rates, António Costa.
Die EU wurde lange Zeit bei Gesprächen mit Russland zur Beendigung des Krieges ins Abseits gedrängt, während US-Präsident Donald Trump die Bemühungen koordinierte, Kiew und Moskau an den Verhandlungstisch zu bringen. Washington überraschte die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten im November mit einem 28-Punkte-Plan zur Beendigung des Krieges, der weithin als ein Einknicken gegenüber den wichtigsten Forderungen des Kremls angesehen und nach der Einbeziehung der Ukraine und Europas nun überarbeitet wurde.
Derzeit zeichnet sich neue Hoffnung auf direkte Gespräche zwischen Europa und Russland ab.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, Putin habe in einem am Sonntag von der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti veröffentlichten Interview „seine Bereitschaft zum Dialog” mit seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron zum Ausdruck gebracht.
Die Präsidentschaft Frankreichs begrüßte in der Folge, dass Putin bereit sei, mit Macron zu sprechen, nachdem der französische Staatschef erklärt hatte, Europa solle sich erneut an Russland wenden, um den Krieg zu beenden, anstatt die USA allein die Führung übernehmen zu lassen.
Der Kreml dementierte aber am Sonntag, dass Dreiergespräche zwischen der Ukraine, Russland und den USA geplant seien, während russische, ukrainische und europäische Diplomaten in Miami zu separaten Gesprächen mit den USA zusammenkamen.
Die EU – und insbesondere ihre Mitglieder an der Ostflanke, wie beispielsweise Polen – rechnet ebenfalls mit weiteren Tests ihrer Widerstandsfähigkeit durch hybride Bedrohungen, wie beispielsweise Desinformationskampagnen, Cyberangriffe und potenzielle Sabotageakte.
Westliche Sicherheitsdienste machen Russland für eine Flut von Drohnenflügen, Sabotageakten, Cyberangriffen und Online-Desinformationskampagnen in Europa verantwortlich, die seit der russischen Invasion der Ukraine im Jahr 2022 eskaliert sind.
Der Chef des deutschen Verfassungsschutzes warnte Anfang Dezember, dass Russland im kommenden Jahr Sabotageakte, Cyberangriffe und Desinformationskampagnen verstärken könnte, wenn die stärkste Volkswirtschaft der EU, ein wichtiger Unterstützer der Ukraine, mehrere Regionalwahlen abhält.
In Deutschland finden 2026 vier Landtagswahlen und in Berlin die Wahl zum Abgeordnetenhaus statt, darunter auch im ehemals kommunistischen Osten des Landes, wo die in Teilen rechtsextreme und moskaufreundliche Partei Alternative für Deutschland (AfD) hofft, erneut mehr Unterstützung zu gewinnen.

Kein Handel, kein Gewinn
Auch die Handelsbeziehungen der EU zu wichtigen Partnern haben sich 2025 verändert, während die Beziehungen zu den USA und China sowie die Aussicht auf ein Handelsabkommen mit Ländern in Südamerika weiterhin wichtige Streitpunkte sind.
Prognose für 2026: Wenn die aktuellen Prognosen der Vereinten Nationen zutreffen, wird der weltweite Handel 2025 die Marke von 35 Billionen Dollar (30 Billionen Euro) überschreiten. Dies entspricht laut der jüngsten Aktualisierung der UN-Zahlen einem Anstieg um rund 2,2 Billionen Dollar oder etwa sieben Prozent.
Die Aussichten für 2026 sind jedoch gedämpfter, teilten die Vereinten Nationen Anfang Dezember mit. Im November erklärte auch die Europäische Kommission, dass die Wirtschaft der Eurozone im Jahr 2026 weniger stark wachsen werde als erwartet, da Risiken aus dem internationalen Handel und geopolitischen Spannungen den Euroraum belasten.
Seit seiner Rückkehr ins Amt im Januar hat US-Präsident Trump beispielsweise mehrere Wellen neuer Zölle auf Importe in die USA verhängt. Seine Regierung hat seit April einen Grundzoll von 10 Prozent für alle Länder eingeführt, wobei für einige Volkswirtschaften deutlich höhere Sätze gelten.
Um einen umfassenden Handelskrieg abzuwenden, einigten sich die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und Trump im Juli auf ein Abkommen, das für die meisten EU-Exporte, darunter Autos, Halbleiter, Arzneimittel und Holz, Zölle in Höhe von 15 Prozent vorsieht.
Die Kommission prognostiziert für den Euroraum ein Wachstum von 1,2 Prozent im Jahr 2026, nach zuvor 1,4 Prozent. Für die gesamte EU mit 27 Ländern erwartet Brüssel ein Wachstum von 1,4 Prozent im Jahr 2026, etwas weniger als die im Mai prognostizierten 1,5 Prozent.
Die Daten der EU basieren auf der Umsetzung der vereinbarten Zölle. Die Kommission erklärte, die Wirtschaft der Eurozone sei im Jahr 2025 trotz der durch Trumps Zölle verursachten Turbulenzen widerstandsfähiger gewesen.
Die Eurozone wächst: Die Eurozone begrüßt ein neues Mitglied. Am 1. Januar 2026 wird Bulgarien dem Währungsraum beitreten, was trotz einiger innenpolitischer Widerstände einen wichtigen Meilenstein in seiner EU-Integration darstellt.
Die selbsternannte „einzige patriotische Partei Bulgariens”, Vazrazhdane, hat Proteste gegen die Einführung des Euro organisiert und gesagt, dass dieser Schritt die nationale Souveränität untergraben und den Lebensstandard beeinträchtigen würde. Ein Sprecher der EU-Kommission bestätigte jedoch, dass die Entscheidung Bulgariens zum Beitritt zur Eurozone endgültig ist und vor dem 1. Januar nicht rückgängig gemacht werden kann.
Mitte Dezember trat die bulgarische Regierung unter Ministerpräsident Rossen Jeliazkov zurück, nachdem die Öffentlichkeit ihre Wirtschaftspolitik und ihr vermeintliches Versagen bei der Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption kritisiert hatte. Dies leitete wenige Tage vor der Einführung der neuen Währung eine Phase anhaltender politischer Instabilität in Bulgarien ein.
Handel zwischen der EU und China: Die Spannungen im Handel zwischen China und der EU nehmen seit mehreren Jahren zu. Bereits 2023 leitete Brüssel eine Untersuchung gegen in China hergestellte Elektroautos ein und warf Peking vor, die Industrie mit übermäßigen staatlichen Subventionen zu unterstützen. Peking reagierte mit eigenen Untersuchungen und Zöllen auf Importe aus der EU, darunter auf Spirituosen, Schweinefleisch und Milchprodukte.
Der Handelskonflikt verschärfte sich jetzt kurz vor Weihnachten, als China laut einer Erklärung des chinesischen Handelsministeriums Einfuhrzölle von 21,9 bis 42,7 Prozent auf bestimmte europäische Milchprodukte verhängte.
China wirft der EU vor, ihre Milchwirtschaft erheblich zu subventionieren. Importe aus Europa hätten chinesischen Produzenten spürbar geschadet, so das Ministerium. Die Untersuchung zu Milchprodukten werde bis zu einer endgültigen Entscheidung fortgesetzt, hieß es.
Vorgehen gegen die Flut kleiner Pakete: Die EU ihrerseits versucht, gegen die Flut kleiner Pakete aus China vorzugehen, die über Anbieter wie Shein und Temu bestellt werden. Im vergangenen Jahr gelangten 4,6 Milliarden kleine Einzelhandelspakete in die Europäische Union – mehr als 145 pro Sekunde –, von denen 91 Prozent aus China stammten, und ihre Zahl dürfte weiter steigen.
Europäische Einzelhändler argumentieren, dass sie einem unlauteren Wettbewerb durch ausländische Plattformen wie AliExpress, Shein und Temu ausgesetzt sind, die ihrer Meinung nach nicht immer die strengen Produktvorschriften der EU einhalten.
Anfang Dezember einigten sich die EU-Finanzminister darauf, eine Abgabe von drei Euro auf geringwertige Importe in die Union zu erheben. Die Abgabe wird vorübergehend ab dem 1. Juli 2026 eingeführt und so lange gelten, bis sich die Europäische Union auf eine dauerhafte Lösung für die Besteuerung solcher Importe geeinigt hat.
Die Europäische Kommission schlug im Mai außerdem eine geringe Paketbearbeitungsgebühr in Höhe von zwei Euro vor. Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich noch auf die tatsächliche Höhe dieser Gebühr einigen, hoffen jedoch, dass sie ab Ende 2026 gelten wird.
EU-Mercosur, seit 25 Jahren und kein Ende in Sicht: Die EU teilte in der Woche vor Weihnachten mit, dass die Unterzeichnung eines Handelsabkommens zwischen ihr und vier Mercosur-Ländern – Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay – auf Januar verschoben wird, nachdem Landwirte vor dem EU-Gipfel in Brüssel gegen das Abkommen protestiert hatten.
Außerdem haben der entschiedene Widerstand Frankreichs und Rückschläge aus Italien und anderen Mitgliedstaaten das Abkommen blockiert.
Der Deal zwischen der EU und dem Mercosur würde die größte Freihandelszone der Welt schaffen und dem 27-Staaten-Block helfen, in Zeiten globaler Handelsspannungen mehr Fahrzeuge, Maschinen, Wein und Spirituosen nach Lateinamerika zu exportieren.

KI-Schub und großer Tech-Kampf
Angesichts der Bemühungen der EU, im Namen ihrer Wettbewerbsfähigkeit Bürokratie abzubauen, lautet eine zentrale Frage für das neue Jahr, ob die Deregulierungsbemühungen der EU dazu beitragen werden, dass die Union mit den technologischen Großmächten Schritt halten kann – insbesondere bei aufstrebenden Technologien wie der Künstlichen Intelligenz (KI).
Nach drei Jahren rasanten Wachstums und steigender Bewertungen geht die KI-Branche mit einer gewissen Euphorie, die jedoch zunehmend schwierigen Fragen weicht, in das Jahr 2026.
Es fließt viel Geld in die KI, wobei die Ausgaben laut dem Beratungsunternehmen Gartner im Jahr 2026 weltweit voraussichtlich mehr als 2 Billionen Dollar (1,7 Billionen Euro) erreichen werden.
Die EU hatte sich beeilt, ihr umfassendes KI-Gesetz zu verabschieden, das im vergangenen Jahr in Kraft getreten ist. Dutzende der größten europäischen Unternehmen, darunter Airbus und Mercedes-Benz, forderten aber ein Aussetzen bei Aspekten, die ihrer Meinung nach die Innovation behindern könnten.
Unterdessen geht auch der Konflikt der EU mit den großen Technologieriesen weiter, da Brüssel seine wegweisenden digitalen Regelwerke überdenkt. Die bahnbrechenden EU-Technologieregeln stießen auf starken Widerstand seitens der US-Regierung unter Trump, aber auch seitens Unternehmen und anderer Regierungen.
Brüssel bestreitet, sich Druck von außen zu beugen, hat jedoch versprochen, den Unternehmen in den 27 Mitgliedstaaten das Leben zu erleichtern und Vorschläge zur Änderung der Datenschutzvorschriften und zur Verschiebung von Teilen des KI-Gesetzes vorgelegt.
Nachdem sie früher den “Brüsseler Effekt” begrüßt hatten, durch den EU-Gesetze weltweit Einfluss auf die Rechtsordnungen nahmen, befürchten Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten nun zunehmend, dass sich die EU aus ihrer Rolle als Kontrollinstanz für Big Tech zurückzieht.
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